skysport.ch
Sky Sport

Live-Sport ansehen auf

Sky Sport
News Wintersport

Zweimal breite Brust, einmal Hoffnung

KeyStone

Die Fronten vor der Weltmeisterschaft in Saalbach scheinen klar abgesteckt. Die Schweiz und Norwegen stellen am meisten Medaillenkandidaten, Österreich muss vor Heimpublikum auf die Kehrtwende hoffen.

media_ftp_sky_de_20250202_brz003679ef15f39f29
Marco Odermatt (rechts) und Franjo von Allmen haben zusammen mit Loïc Meillard und Alexis Monney bisher mehr Weltcup-Punkte gesammelt als zwei Dutzend Österreicher © KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Das hatten sie sich in Österreichs Skiverband (ÖSV) ganz anders vorgestellt - damals im Herbst vor vier Jahren, als der Vorstand des Internationalen Skiverbandes (FIS) mit Präsident Gian Franco Kasper an der Spitze Saalbach-Hinterglemm als Austragungsort der diesjährigen Weltmeisterschaft verkündet hatte.

Die Macher im ÖSV, der sich mittlerweile Ski Austria nennt, waren überzeugt, dass die eigene Delegation den Auftritt in der Heimat nutzen wird, den Status Österreichs als führendes Land im Skirennsport zu untermauern. Das Selbstverständnis liess keine anderen Vorgaben zu. Der Fakt, dass ganz oben in der Hierarchie ein Wandel im Gange war, dass die Schweiz sieben Monate zuvor zum ersten Mal seit 30 Jahren das Duell um den Sieg in der prestigeträchtigen Nationenwertung wieder für sich entschieden hatte, wurde zur Kenntnis genommen, aber noch längst nicht als mahnendes Signal gedeutet. Schon gar nicht sahen sie sich in der Chefetage des ÖSV gemüssigt, das eigene System, unter anderem in der Nachwuchsförderung, zu hinterfragen.

Vier Jahre später ist die Welt für Österreichs Alpine eine andere. Die Schweiz hat Österreich den Status als Nummer 1 abgelaufen, die Wirklichkeit vermag dem Anspruch nicht mehr zu genügen. Zweifel, ja Verzweiflung und Unsicherheit haben sich breit gemacht. Die Ursachenforschung hat nunmehr begonnen, die Umsetzung angedachter Veränderungen lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen verwirklichen. Sie ist ein langwieriger Prozess. Sie erfordert Geduld, Weltmeisterschaft im eigenen Land hin oder her.

Der Hinweis, dass auch Entwicklungen beim fahrenden Personal ihren Teil zur unerfreulichen Kehrtwende beigetragen haben, soll nicht als Ausrede verstanden werden. Berechtigt ist er aber auf jeden Fall. Wenn ein dreifacher Olympiasieger völlig unerwartet seinen Rücktritt erklärt, wie das Matthias Mayer vor gut zwei Jahren in Bormio getan hat, reisst das eine Lücke ins Mannschaftsgefüge - vom Substanzverlust ganz zu schweigen. Wenn der beste Allrounder und Marco Odermatts erster Herausforderer im Kampf um den Gesamtweltcup eine schwere Knieverletzung erleidet, wie das Marco Schwarz ebenfalls in Bormio zwölf Monate nach Mayers Abgang widerfahren ist, ist das nichts anderes als grosses Pech.

Und wenn eine Slalom-Weltmeisterin und Disziplinen-Weltcupsiegerin die Verpflichtung eines renommierten Trainers als Fehlentscheid betrachten und die Zusammenarbeit wegen Verunsicherung und sportlichen Rückschlägen nach wenigen Monaten als "Missverständnis" abtun muss, wie das bei Katharina Liensberger und dem Italiener Livio Magoni der Fall gewesen ist, kann das Unruhe in ein Team bringen.

Die sich aus Österreicher Sicht in die falsche Richtung bewegende Spirale erreichte in diesem Winter den nächsten Tiefpunkt. Der Wind, der immer ausgeprägter auf die Seite der direkten Konkurrenz drehte, entwickelte sich in den Wochen vor der Weltmeisterschaft zu einem Orkan, der am Mittwochabend allerdings wieder etwas an Stärke einbüsste. Die Ränge 2 und 3 von Manuel Feller und Fabio Gstrein im Nacht-Slalom in Schladming kamen einer nationalen Erleichterung gleich. Sie waren Balsam auf zahlreiche Wunden, die viele der vorangegangenen Rennen aufgerissen hatten.

Gleichwohl bleiben Zahlen, die in Österreich wehtun, Vergleiche etwa mit den Schweizer Athleten und Zwischenbilanzen, die den Beleg für einen bisher vorab von Enttäuschungen geprägten Weltcup-Winter liefern. Zu medialen Schelten setzte nicht nur der Boulevard an, und auch ehemalige Grössen wie Franz Klammer, Hermann Maier oder Hans Knauss hielten mit Kritik nicht zurück. Die "Kronen-Zeitung" rechnete vor, dass ein Schweizer Quartett mehr Weltcup-Punkte sammelte als alle 24 Österreicher zusammen, die in der Gesamtwertung aufscheinen. Marco Odermatt, Loïc Meillard, Franjo von Allmen und Alexis Monney brachten es gemeinsam bisher auf 2493 Punkte, die ÖSV-Athleten auf 2441 Punkte.

Als wenn das des Schlechten nicht schon genug wäre: Österreichs Männer-Team steht in diesem Winter noch ohne Weltcup-Sieg da. Lange muss in den Statistiken zurückgeblättert werden, um die Saison zu finden, in der dies zu diesem Zeitpunkt letztmals der Fall gewesen ist. 33 Jahre ist es her. Anfang März hat Günther Mader damals als Gewinner des Super-G in Panorama in der kanadischen Provinz British Columbia die allergrösste Schmach verhindert. Es ist in jener Saison auf Männer-Seite der einzige Sieg eines Österreichers geblieben.

Der Null von Österreichs Männern im bisherigen Weltcup-Winter stehen elf Schweizer Siege gegenüber. Dazu haben die Fahrer von Swiss-Ski acht zweite und sieben dritte Plätze erreicht. Sieben Siege gehen auf das Konto von Odermatt, daneben haben Justin Murisier, Thomas Tumler, Monney und Von Allmen zum ersten Mal ganz oben gestanden. Sieben Siege haben auch die Norweger zustande gebracht. Bei den Nordländern hat ebenfalls ein Quintett dafür gesorgt, nämlich Alexander Steen Olsen, Henrik Kristoffersen, Timon Haugan, Atle Lie McGrath und Fredrik Möller. Schweizer und Norweger haben allen Grund, mit Zuversicht und breiter Brust ins Glemmtal zu reisen.

Wie bei den Männern ist Österreich auch bei den Frauen derzeit nur die dritte Kraft. Die Schweiz führt die Teamwertung vor Italien an. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen können die Österreicherinnen immerhin Siege vorweisen - deren zwei, beide herausgefahren von Cornelia Hütter. Die Schweizerinnen haben bisher einmal mehr gewonnen. Camille Rast hat zweimal im Slalom vor Wendy Holdener dominiert, Lara Gut-Behrami zuletzt im Super-G in Garmisch-Partenkirchen. Deutlich besser stehen die Italienerinnen da. Federica Brignone hat schon fünf Siege eingeheimst, Sofia Goggia zwei.

Die gleichen Namen stehen selbstredend auch mit Blick auf die am Dienstag beginnende Weltmeisterschaft hoch im Kurs. All diese Fahrerinnen und Fahrer haben die Gewissheit, dass sie nichts Aussergewöhnliches vollbringen müssen, um bei der Medaillenvergabe ein Wort mitreden zu können. Der Umstand, dass normaler Leistungslevel genügt, um Titel- oder Medaillenanwärter(in) zu sein, hat beruhigende Wirkung.

Was die Zahlen sagen: Bei den Schweizer Teams, bei Norwegens Männer-Mannschaft und bei Italiens Frauen-Equipe hat in diesem Winter bislang sehr vieles gepasst. Was die Zahlen aber auch sagen: Österreichs Alpine sind mehrfach unter Wert geschlagen worden, oft hat ihnen das Wettkampfglück gefehlt. Sie haben deutlich mehr Qualität und Potenzial, als es die Ergebnisse zum Ausdruck bringen. Oder anders ausgedrückt: Oft ist ihnen das Pech auf eine Art widerfahren, die so typisch ist für Phasen, in denen (fast) alles schief läuft, was schief laufen kann.

Der Grat zwischen Erfolg und Scheitern bleibt für die Fahrerinnen und Fahrer des ÖSV schmal. Dessen sind sie sich im ÖSV sehr wohl bewusst. Sie wissen aber auch, dass es manchmal nur dieses eine Erfolgserlebnis für die Wende zum Guten braucht. Eine Weltmeisterschaft im eigenen Land wäre die perfekte Gelegenheit, auf grosser Bühne zur Kurskorrektur anzusetzen, die Misere abzustreifen, den guten Ruf wieder herzustellen, einer Ski-Grossmacht wieder gerecht zu werden.

Um die Phrase wegen den eigenen Gesetzen einer Grossveranstaltung wissen sie auch in Österreichs Skiverband. Die Bedeutung hat für sie diesmal einen anderen Stellenwert. Sie schöpfen daraus Mut. Sie wollen daran glauben, darauf hoffen. Es bleibt ihnen nicht viel anderes übrig nach dem für sie bitteren "Rollentausch".

Bewerte den Artikel
0 Bewertungen
Ihre Stimme wird gezählt.

News-Feed

Lesen Sie auch

Mehr anzeigen

Live-Sport ansehen auf

Sky Sport
Copyright Sky Schweiz SA © 2001-2025. Erstellt von EWM.swiss