Zwei Meinungen: Die Konkurrenz ist erwacht – muss YB um den Meistertitel bangen?
13 Runden sind in der Credit Suisse Super League gespielt und an der Tabellenspitze tummeln sich fünf Klubs innerhalb von nur vier Punkten. Da drängt sich die Frage auf: Führt der Weg zur Meisterschaft doch nicht nur über die Berner Young Boys? Unsere Redaktoren Patrick Y. Fischer und Andy Maschek sind unterschiedlicher Meinung.
Patrick Y. Fischer sagt: Ja
Eigentlich ist die Sache klar. Titelverteidiger YB wird im Mai zum sechsten Mal in den vergangenen sieben Spielzeiten den Meisterpokal in die Höhe stemmen. Zu gut sind die Schlüsselspieler der Berner, zu breit der Kader und zu erfahren die wichtigsten Führungspersönlichkeiten im Klub. Nur: Auf dem Platz hat sich die Vormachtstellung der Berner im bisherigen Verlauf der Meisterschaft nicht manifestiert. Im Gegenteil. Woche für Woche werden die Young Boys von ihren Gegnern maximal gefordert, teilweise sogar dominiert und haben die aktuelle Tabellenführung in erster Linie ihrer bislang unerreichten Effizienz zu verdanken. Dennoch dürften die vergangenen Wochen die Gegner ermutigt haben – in diesem Jahr liegt etwas drin.
Nehmen wir zum Beispiel den FC St. Gallen, den ewigen Underdog aus der Ostschweiz. Woche für Woche fegen die Ostschweizer mit unbändigem Offensivdrang durch die Schweizer Stadien, schlagen einmal YB, um dann wieder in Yverdon zu unterliegen. Mehr Konstanz wäre wünschenswert, aber bereits der aktuelle Rhythmus genügt, um den Bernern auf den Fersen zu bleiben. Weil die immer wieder Punkte liegen lassen und sich in den Direktduellen verwundbar zeigen. Was, wenn der FCSG nun anfängt, auch auswärts regelmässig zu punkten?
Oder Servette Genf, zuletzt Sieger von fünf Super League-Spielen hintereinander. Den Grenats wurde bereits zu Saisonbeginn einiges zugetraut, nach einem längeren Durchhänger bestätigen sie die Vorschusslorbeeren nun von Runde zu Runde. Was für die Genfer spricht: Wer trotz einer Serie von sieben sieglosen Spielen in Serie noch immer vorne mischt, hat den grössten Durchhänger seiner Saison wohl bereits hinter sich. Kommt hinzu, dass der SFC die gemäss Footy Stats bislang ineffizienteste Equipe der Liga stellt – und mit dieser aktuell trotzdem nur drei Punkte hinter dem effizientesten Team (YB) steht.
Übrigens: Die nach Servette ineffizienteste Mannschaft der Liga ist der FC St. Gallen. Auch hier ist aufgrund der bisherigen Leistungen eine weitere Annäherung an die Young Boys also eher zu erwarten als umgekehrt. Aber es sind nicht nur die beiden Klubs ganz im Osten und Westen unseres Landes, die den Bernern im weiteren Saisonverlauf das Leben schwer machen könnten. Auch Zürich, Luzern, Lugano, Winterthur und Yverdon haben in dieser Saison schon bewiesen, dass Gelb-Schwarz in nahezu jedem Spiel Punkte abgeknüpft werden können – weil YB die letzte Konsequenz oft vermissen lässt. Spielen die Berner weiter mit dem Feuer, könnte sie das in dieser Spielzeit noch teuer zu stehen kommen.
Andy Maschek sagt: Nein!
Die Young Boys haben in den ersten zwölf Runden der laufenden Meisterschaft – sie haben noch ein Nachtragsspiel gegen Stade-Lausanne-Ouchy zu bestreiten – bereits elf Punkte abgegeben; viermal trennten sie sich vom Gegner mit einem Unentschieden (Yverdon, Luzern, FCZ, Lugano) und einmal mussten sie den Rasen als Verlierer verlassen (St. Gallen). Natürlich, die Berner waren in früheren Jahren schon souveräner und dominanter unterwegs, sodass die Konkurrenz kaum mehr im Rückspiegel erkennbar war. Aber es ist nur eine Momentaufnahme in diesem Herbst, die schon bald nicht mehr als eine Erinnerung oder Randnotiz sein wird.
Aktuell ist in der Super League die Tabelle zweigeteilt, die Top 5 haben sich vom Rest der Liga abgesetzt und können vom Meistertitel träumen. Wobei die Betonung auf «träumen» liegt, denn am Ende werden sich einmal mehr die Young Boys durchsetzen – und dies mit einem grossen Vorsprung auf die Konkurrenz.
In der bisherigen Saison konnte das Team von Raphael Wicky wie erwähnt nicht wie erwartet dominieren. Doch dies ist auch der Champions League geschuldet. Es sind nicht nur die Matches, welche für die Spieler eine körperliche Zusatzbelastung sind. Es spielt auch das ganze Drumherum mit, gerade wenn man beispielsweise auf Manchester City trifft, das aktuell beste Team der Welt. Dass YB-Captain Mohamed Ali Camara bereits in der Halbzeit das Trikot von Superstar Erling Haaland ergattert, ist unprofessionell, peinlich, aber irgendwie doch menschlich und zeigt die persönliche Bedeutung solcher Spiele, zumal ein Schweizer Klub nicht Jahr für Jahr in der Königsklasse dabei ist. So kann man auch nachvollziehen, dass dann der Fokus im Herbst nicht immer auf der eigenen Meisterschaft liegt. Und Fussball ist eben auch eine Frage des Kopfes.
Die Champions League ist für die Berner bald Geschichte, und allfällige künftige Auftritte auf dem europäischen Parkett werden für Camara & Co. nicht mehr gleich fesselnd sein. Das heisst, dass die Meisterschaft wieder in den Mittelpunkt rückt. Und da wird das Team von Raphael Wicky die Gegner distanzieren. Die Mannschaft ist so breit und hochkarätig besetzt wie keine andere hierzulande. Und diese Qualität wird sich schneller durchsetzen, als dem normalen Fussballfan, der auf eine spannende Meisterschaft mit einem packenden Final hofft, lieb ist, zumal die letzten Wochen gezeigt haben, dass eigentlich jeder jeden schlagen kann und niemand bereit war, sich in der schwächeren YB-Phase ein Polster zu erspielen. Deshalb: Die aktuelle Tabelle mit einer gedrängten Spitze ist nur eine Momentaufnahme, welche die «Nicht-YB-Fans» noch geniessen sollten. Denn es wird bald vorbei sein.