Wird Marco Odermatt der neue Roger Federer? Zwei Meinungen
Erst Adelboden, dann Wengen. An den kommenden Wochenenden ist das Berner Oberland der Nabel der Ski-Welt – mit Seriensieger Marco Odermatt als Aushängeschild. Hat der Nidwaldner gar das Zeug, künftig in die grossen Fussstapfen von Roger Federer zu treten? Unsere Redaktoren Andy Maschek und Patrick Y. Fischer sind sich nicht einig.
Patrick Y. Fischer sagt: Nein
Kein Frage: Was Marco Odermatt leistet, verdient allerhöchsten Respekt. Wer in vergleichsweise jungen Jahren seine Sportart dominiert, Gold an WM und Olympia geholt und den Gesamtweltcup bereits zweimal gewonnen hat, ist eine absolute Ausnahmeerscheinung und verdient jegliche Anerkennung, die ihm zuteilwird. Umso mehr, wenn man (oder Frau) dabei noch so volksnah und authentisch auftritt, wie der 26-Jährige.
Auf den ersten Blick bringt Marco Odermatt denn auch alles mit, um zum legitimen Nachfolger von Roger Federer zu werden. Insbesondere in der Schweiz, wo die Beziehung zum Skisport und seinen meist bodenständigen Aushängeschildern seit Jahrzehnten eine ganz Spezielle ist. Insofern würde es auch nicht überraschen, sollte «Odi» in unserem Land sogar über höhere Sympathiewerte verfügen, als das mittlerweile zurückgetretene Tennis-Ass. Und dennoch bin ich der Meinung: Roger Federer bleibt noch auf viele Jahre hinaus der mit Abstand grösste Schweizer Sportler.
Denn «King Roger» war nicht nur in der Schweiz der Botschafter, Sympathieträger und Superstar. Er war Gesicht und Aushängeschild einer weltumspannenden Sportart, in der die Schweiz vor seiner Karriere bestenfalls eine Nebenrolle spielte. Mag sein, dass sich Australier, Amerikaner, Deutsche, Spanier oder sogar Schweden an der Tennis-Weltspitze in regelmässigen Abständen ablösten, aber dass ein Schweizer den Sport einst über mehrere Jahre dominieren würde, war vor RF absolut undenkbar. Kommt hinzu: Mit seinem variantenreichen Spiel, der Eleganz und seiner beeindruckend natürlichen Persönlichkeit ohne Allüren (siehe Odermatt) eroberte der Basler die Herzen von Tennis- und Sportfans weltweit. Auch deshalb wurde Federer zu einem Spieler, der grösser wurde als der Tennissport selbst – und auf Lebzeiten hinaus weltweit Legendenstatus haben wird.
Den wird eines Tages auch Marco Odermatt geniessen – als möglicherweise grössten Skifahrer, den die Schweiz je erlebt hat. Um auch International in den Kreis der ganz grossen Sportler:innen aufgenommen zu werden, betreibt der sympathische Seriensieger aber die falsche Sportart. Eine Tatsache, die Odermatt zweifellos und ohne Probleme verschmerzen wird.
Andy Maschek sagt: Ja
Es ist noch nicht lange her, da war für mich klar: Roger Federer ist der beste Sportler, den die Schweiz je gehabt haben wird. Doch jetzt ist Marco Odermatt da – und tauchen bei mir leise Zweifel auf. Mit seinen erst 26 Jahren ist er bereits Weltmeister, Olympiasieger, zweifacher Gesamtweltcupsieger. Das sind die nackten Zahlen, die natürlich beeindruckend.
Noch viel wichtiger ist aber, wie Odi fährt und wie er sich gibt. Egal, ob es ihm – wie fast immer – gut gelaufen ist oder auch mal weniger gut: Er steht Rede und Antwort, spricht über seine Leistung und kommt nicht nur authentisch, sondern auch sympathisch rüber. Man nimmt ihn irgendwie als Kumpel wahr, mit dem man mitfiebert.
Und dieses Mitfiebern ist packend. Mit seinem spektakulären Stil sorgt der Nidwaldner für Action. Ihm im Riesenslalom, wo er im Weltcup bereits 17 Mal gewonnen hat und nun saisonübergreifend bei sechs Siegen in Serie steht, ist eine Augenweide; er hat die Massstäbe in dieser Disziplin in eine neue Dimension katapultiert. Im Super-G hat er bislang elf Weltcupsiege gefeiert und ist ebenso der Führende im Disziplinenweltcup wie in der Abfahrt, wo er zwar noch kein Weltcuprennen gewonnen hat, aber bereits Weltmeister ist. Und sein erster Triumph in der Abfahrt wird sicher schon bald folgen – vielleicht bereits in Wengen.
Dies alles zeigt: Marco Odermatt bringt als Mensch und als Sportler alles mit, um dereinst als grösster Schweizer Sportler in die Geschichte einzugehen. Zumal ein Ende seiner Triumphe noch lange nicht abzusehen ist, wenn er hoffentlich gesund bleiben wird. Aber eigentlich ist es ja vor allem eines, wenn man Athleten aus verschiedenen Sportarten miteinander vergleicht: unfair. In der Weltsportart Tennis ist die globale Konkurrenz beispielsweise sicher grösser, bei den Weltcuprennen stehen aber im Gegensatz zu normalen ATP-Turnieren die Top-Cracks immer am Start.
Ja, Roger Federer und Marco Odermatt sind einzigartige Sportler und Vorbilder. Deshalb tun wir gut daran, jeden von ihnen auf seine Art und Weise zu schätzen und sie nicht miteinander zu vergleichen. Sondern stolz und dankbar zu sein, dass ein kleines Land wie die Schweiz über solche Asse verfügt.