Vom Abgrund zurück auf den Gipfel
Jahrelang war Marc Marquez das Mass aller Dinge im Motorrad-Rennsport - auf dem besten Weg dazu, der Grösste der Geschichte zu werden. Umso härter war die Durststrecke der letzten drei Jahre. 1043 Tage hatte er nicht mehr in der MotoGP gewonnen, doch Anfang September jubelte der 31-Jährige vor seinem spanischen Publikum zu einem wilden Samba-Rhythmus, und das aus gutem Grund: In Aragonien hatte er gerade seinen ersten Grand-Prix-Sieg seit Oktober 2021 errungen.
Als Zweiter fuhr Marquez am Sonntag in Barcelona zum zehnten Mal in dieser Saison aufs Podest (darunter drei Siege), im Schlussklassement belegt er den 3. Platz. Den spannenden Titelkampf entschied zwar erstmals Jorge Martin gegen den zweifachen Titelträger Francesco Bagnaia für sich. Marc Marquez hat sich aber wieder an der Spitze etabliert.
Der "Ausserirdische" hat einen langen Weg hinter sich. Von 2020 bis 2023 hatte er eine Reihe von Unfällen und Verletzungen, nachdem er zwischen 2013 und 2019 mit Honda sechs Titel in der MotoGP gewonnen hatte. Er war es leid, ein nicht mehr zeitgemässes Motorrad zu fahren, an dem er sich bei dem Versuch, es zu zähmen, die Knochen gebrochen hatte. Weil er nicht die Mittel hatte, um wieder zu gewinnen, verliess der Katalane Ende 2023 den japanischen Hersteller, bei dem er seine gesamte Karriere verbracht hatte, und schloss sich dem mächtigen Ducati-Konzern an.
"Emotional war es eine grosse Belastung, aber ich habe es getan, weil ich meiner sportlichen Karriere und dem Streben nach Ergebnissen den Vorrang gab", erklärte er im Frühjahr in der Radiosendung "El Larguero". Zwar gab es beim Traditions-Rennstall aus Bologna zunächst nur einen Platz beim Gresini-Kundenteam mit Ducati-Maschinen aus dem Vorjahr. Mit endlich wieder konkurrenzfähigem Material kehrte auch das Vertrauen zurück, die Startnummer 93 war im Kampf um die Podestplätze wieder ein Faktor.
In einem Interview, das vor dem Saisonfinale vergangene Woche auf der Website der MotoGP-WM veröffentlicht wurde, gab er zu: "Vor ein oder zwei Jahren habe ich mich gefragt, ob meine Zeit vorbei ist, aber ich habe den Entscheid getroffen (zu Gresini zu wechseln), weil ich nichts bereuen möchte, wenn ich in den Ruhestand gehe".
Zu bereuen hat Marquez definitiv nichts. 2024 hat er mehr Top-3-Platzierungen erzielt als in seinen letzten drei Jahren bei Honda (sechs). Der 31-jährige Katalane hat oft betont, dass es ihm nach seinen frustrierenden letzten Saisons vor allem darum ging, "wieder Spass auf einem Motorrad zu haben". Seinem Status getreu hat sich der Katalane dennoch wieder in die Riege der Topfahrer eingereiht und bewiesen, dass er eines Tages der GOAT, der erfolgreichste Fahrer aller Zeiten, werden könnte.
Mit seinen sechs Titeln in der MotoGP träumt Marc Marquez immer noch davon, die Legende Valentino Rossi zu überholen, der mit sieben Titeln in der Königsklasse derzeit noch vorne liegt.
Als einer der ältesten Fahrer im Feld sieht der mehrfache Champion die Bedrohung durch die jüngere Generation, wie seinen erst 20-jährigen Landsmann Pedro Acosta, der bereits als einer der zukünftigen Stars der Elite angesehen wird. "Die Jahre vergehen und junge Fahrer kommen. Sie sind frischer, schneller und das ist ganz natürlich. Man muss verstehen, wie man sich an die Situation anpasst", betonte er zu Beginn der Saison. "Ich versuche, von ihnen zu lernen, aber das braucht Zeit und ist schwierig", argumentierte er ebenfalls.
Nun scheint er wieder auf der Höhe seiner Erwartungen zu sein, im kommenden Jahr dürfte er tatsächlich wieder um den WM-Titel mitfahren. Im Kampf um den zweiten Platz im Werksteam neben Bagnaia stach er den neuen Weltmeister Jorge Martin aus, der zu Aprilia wechselt und Mühe haben dürfte, seine Resultate zu wiederholen. Marquez aber sitzt endlich wieder auf dem besten Motorrad der MotoGP. Die Zusammenarbeit mit und das Duell gegen Francesco Bagnaia versprechen Spektakel pur.