Toni Kroos: Der Taktgeber
Heute Abend spielt die Schweiz gegen Deutschland an der EM um den Gruppensieg. Mitentscheidend über Sieg oder Niederlage wird sein, ob Granit Xhaka das Duell der Taktgeber gegen Toni Kroos für sich entscheiden kann.
Toni Kroos ist der Denker und Lenker im Spiel der Deutschen. Sein Comeback auf die Heim-EM hin war ein Segen für das Team von Julian Nagelsmann. Nach der EM 2021 hatte Kroos seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft gegeben. «106 Mal habe ich für Deutschland gespielt, ein weiteres Mal wird es nicht geben», teilte er damals mit. Es war ein temporärer Abschied. Denn im vergangenen Februar verkündete Kroos via soziale Medien seine Rückkehr – und kam seither zu weiteren fünf Einsätzen für Deutschland. Sofort zeigte sich: Er ist der Chef im Mittelfeld, der Spiritus Rector, der Taktgeber. Grund genug, ihn, der nach dieser EM seine Karriere beenden wird, ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.
Seine Herkunft
Es war ein historischer Tag, als in Deutschland am 9. November 1989 die Mauer fiel. Doch davon hat Toni Kroos nichts mitbekommen, schliesslich erblickte er, der später der erste Fussball-Weltmeister aus der ehemaligen DDR werden sollte, erst am 4. Januar 1990 das Licht der Welt. Die Familie Kroos lebte damals in der DDR, im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zunächst in Greifswald und dann in Rostock. Er stammt aus einer sportlichen Familie.
Sein 13 Monate jüngerer Bruder Felix war ebenfalls Fussballprofi, kam für Werder Bremen und Union Berlin auf 80 Bundesligaspiele (ein Tor). Mutter Birgit war eine begeisterte Badminton-Spielerin und gewann sogar die Meisterschaft in der damaligen DDR. Vater Roland war Tonis erster Trainer bei den Junioren des Greifswalder SC und nachdem die Sportler-Familie von Greifswald nach Rostock zog, erhielt Roland Kroos bei Hansa eine Anstellung als Nachwuchstrainer. Später kehrte Vater Kroos nach Greifswald zurück, war Trainer, Technischer Direktor und Teamchef, legte aber Ende Februar 2023 nach einer Herzoperation seine Ämter nieder.
Toni Kroos selber gilt als Familienmensch, hat drei Kinder – und eine soziale Ader. Vor neun Jahren gründete er die Toni Kroos Stiftung, die das Ziel verfolgt, gesundheitlich stark beeinträchtigte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien zu unterstützen. Zugunsten seiner Stiftung versteigerte er unter anderem sein WM-Trikot, das er im Finale getragen hat, für 31’099 Euro. Bekannt ist er auch für den Podcast «Einfach mal Luppen», den er vor vier Jahren mit seinem Bruder Felix lancierte.
Seine Stationen
2006 wechselte Kroos von Rostock zum FC Bayern München, glänzte im Nachwuchs und kam am 26. September 2007 unter Ottmar Hitzfeld zu seinem Bundesliga-Debüt. Er wurde nach 72 Minuten eingewechselt – und liess sich bei zwei Toren von Miroslav Klose jeweils den Assist notieren. Im Januar 2009 verliehen ihn die Münchner an Bayer 04 Leverkusen, wo er an der Seite von Eren Derdiyok und Tranquillo Barnetta eine anderthalbjährige Lehrzeit verbrachte. Der damalige Bayern-Coach Jürgen Klinsmann war zwar der Meinung, dass sich Kroos in München durchbeissen solle, aber der 19-jährige Kroos war mit seiner Einsatzzeit nicht zufrieden. Das Leihgeschäft wirkte: mit neun Toren und zwölf Vorlagen war Kroos einer der überragenden Bayer-Akteure der Saison 2009/2010.
Danach startete Kroos auch in München durch, blieb vier Saison bei den Bayern, ehe er 2014 zu Real Madrid weiterzog. 25 Millionen Euro überweisen die Spanier dem FC Bayern München, der dem damals 24-Jährigen das nötige Format absprach. Es war gut investiertes Geld, denn Kroos, mit diesem Preisschild ein Schnäppchen, wurde in Madrid zum Weltstar.
Sein Palmarès
Der 34-Jährige sammelte in seiner Karriere die Pokale und hat bis auf den EM-Titel alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er wurde 2024 Weltmeister mit Deutschland und erzielte im legendären Halbfinal gegen Brasilien beim 7:1 innert 69 Sekunden zwei Tore. Der Mittelfeldspieler gewann sechsmal die Champions League (fünfmal mit Real, einmal mit Bayern) und sechsmal die Klub-WM, wurde viermal spanischer und einmal deutscher Meister; dazu kommen Cupsiege in Deutschland und Spanien. Und natürlich die Länderspiele. Am 3. März gab Kroos sein Debüt für die A-Nationalmannschaft Deutschland – heute steht er bei 111 Länderspielen und 17 Toren.
Sein Spielstil
Nach seinem Nati-Rücktritt nach der EM 2021 sagte Bayern-Zampano Uli Hoeness noch: «Toni Kroos hat in diesem Fussball nichts mehr verloren.» Ein krasses Fehlurteil. Denn Kroos glänzte bei Real weiter, wurde von Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Comeback bewogen und ist heute der Hoffnungsträger für eine gute Heim-EM.
Die Rückkehr von Kroos hat der Mannschaft Sicherheit verliehen. Der Mittelfeldspieler überzeugt mit aussergewöhnlicher Schusstechnik – gerade auch seine Freistösse sind gefürchtet – und Spielübersicht, dazu kommt ein stets hohes Laufpensum. Ihn macht aber vor allem auch seine Sorgfalt am Ball so stark. Fehlpässe sind eine absolute Rarität, so wurde er einst als «Garçon» – also «Kellner» – bezeichnet, da er nahezu alle Pässe an seine Mitspieler bringt. Die Statistiken unterstreichen dies eindrücklich: Bei Real lag die Passgenauigkeit des Deutschen in jeder Saison bei über 92 Prozent, in den vergangenen zwei Jahren betrug sie gar 95 Prozent. In den beiden EM-Spielen war er ebenfalls die dominierende Figur. Gegen Ungarn hatte Kroos 145 Ballkontakte und spielte 124 Pässe. Gegen Schottland erreichten von 102 Pässen des Rechtsfüssers, der im Mittelfeld gegen vorne und gegen hinten das Scharnier ist, 101 einen Mitspieler – Wahnsinn!
«Rudi Völler hat gesagt, dass er seit seinem 18. Lebensjahr Eiswürfel pinkelt. So ähnlich ist es wahrscheinlich», erklärte Bundestrainer Julian Nagelsmann rund um das Kroos-Comeback im Frühling. Da bleibt nur zu hoffen, dass der Mittelfeldmotor der deutschen heute Abend weniger PS auf den Rasen bringt als Granit Xhaka, der Denker und Lenker im Schweizer Mittelfeld. Und Kroos so nicht mehr ganz so cool und nüchtern das Spiel seines Teams dirigieren kann.