The Sky is the Limit
Vor der EM in Deutschland waren die Erwartungen an die Schweizer Nati nicht wirklich hoch. Nun greift das Team von Murat Yakin nach den Sternen – es scheint, als seien der Nati in diesen Tagen in Deutschland keine Grenzen gesetzt.
Die Frage wird vor jedem Grossanlass gestellt: Was trauen Herr und Frau Schweizer unserer Nati zu? Die Antwort darauf war vor dieser EM und nach der schwachen Qualifikation ziemlich klar: nicht sehr viel. In einer vom Nachrichtenportal Watson gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut Demoscope zwischen dem 28. Mai und dem 3. Juni durchgeführten repräsentativen Umfrage für die Deutsch- und Westschweiz (2433 Teilnehmende) tippten 30 Prozent auf ein Scheitern in der Vorrunde und 37 auf ein Ausscheiden im Achtelfinal. Immerhin 22 Prozent setzten auf eine Viertelfinal- und 7 Prozent auf eine Halbfinal-Qualifikation. Ein Prozent tippten auf eine Finalniederlage und zwei Prozent glaubten an den EM-Coup.
Und nun also das. Das souveräne und unbezwungene Überstehen der Vorrunde, wobei der Sieg gegen Gastgeber Deutschland nur haarscharf verpasst wurde. Dann der Achtelfinal-Sieg gegen Titelverteidiger Italien. Nicht mit Dusel, sondern einfach nur überzeugend. Murat Yakin und sein Team setzten das in die Realität um, was dem Coach durch den Kopf geschossen war, als klar war, mit welchem System die Italiener antreten. «Als wir sahen, dass sie mit einer Viererkette kommen, wussten wir: Die machen wir platt. Kommen sie mit einer Viererkette, lassen wir sie laufen», so Yakin.
Defensiv souverän, offensiv erfrischend
Die Schweiz war im Achtelfinal für die Italiener schlicht und einfach zu gut. Die erste Halbzeit war überragend. Die Nati spielt an dieser EM mutig und aufsässig, setzt die Gegner immer wieder im Pressing unter Druck, provoziert so Ballverluste. Und spielt ihrerseits erfrischenden Offensivfussball, wartet nicht einfach auf eine göttliche Fügung, um zu einem Tor zu kommen.
Murat Yakin ist es gelungen, seinem Team für jeden Gegner das perfekt passende taktische Konzept mit auf den Weg zu geben und selber auch personell die richtigen Entscheide zu treffen. Das braucht Mut, wurde aber in allen Fällen belohnt. Was beispielsweise Michel Aebischer oder auch Fabian Rieder, um nur zwei Spieler zu nennen, in Deutschland zeigen – beeindruckend! Und die Schweiz überzeugt als Team, jeder kämpft für jeden. Angeführt vom auf und neben dem Platz omnipräsenten Captain Granit Xhaka und dem überragenden Verteidigungsminister Manuel Akanji hat sich die Nati in einen Flow gespielt. Der Eindruck, dass eine Ansammlung von Egoisten am Werk ist? Der ist aktuell Galaxien weit entfernt.
Diese Schweizer begeistern. Und sie lassen uns träumen. Vom ganz grossen Coup. Ob England oder die Slowakei im Viertelfinal wartet – beides sind machbare Aufgaben. Ebenso in einem allfälligen Halbfinal die Niederlande, Österreich, die Türkei oder Rumänien. Dass man gegen Deutschland bestehen kann, haben Yakin und seine Mannen in der Gruppenphase gezeigt – und auch gegen die anderen möglichen Finalisten Frankreich, Belgien, Portugal, Slowenien oder Georgien besteht durchaus eine Siegeschance. In den bisherigen EM-Tagen hat einzig Spanien einen absolut überragenden Eindruck hinterlassen. Doch in einem Spiel ist bekanntlich immer alles möglich...
Es sind Zukunftsgedanken. Geprägt von einer grossen Euphorie. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollen wir von einem ganz grossen Triumph träumen? Das Motto «The Sky is the Limit» hat rund um die Nati wohl kaum je besser gepasst als jetzt. Entscheidend ist aber, dass die Spieler nicht zu träumen beginnen. Oder wie Coach Murat Yakin nach dem Triumph gegen Italien sagte: «Die Reise ist noch nicht fertig. Aber es kann so viel passieren, es braucht Tagesglück, es braucht das richtige System und die richtige Taktik. Klar, wir sind stark. Aber wir müssen auf dem Boden und bescheiden bleiben.»
