Swiss Indoors Basel: Willkommen in der neuen Realität
Mit dem «Super Monday» startete gestern in Basel die diesjährige Auflage der Swiss Indoors. Super war das Auftaktprogramm des grössten Schweizer Tennisturniers allerdings nur bei grosszügiger Betrachtung. Auch am Rheinknie spürt man die Veränderungen in der Tennisszene.
Wenn die Weltnummer 169 das grösste Zugpferd ist
«Elf Spieler aus den Top 15 : Swiss Indoors mit der besten Besetzung aller Zeiten» titelte der Blick – vor rund neun Jahren im September 2015. In Bezug auf die diesjährige Ausgabe des Basler Traditionsturniers würde aber auch das Boulevardblatt sanftere Töne anschlagen. Zwar stehen im Teilnehmerfeld der Swiss Indoors auch in diesem Jahr zwölf Spieler aus den Top 30, die ganz grossen Namen fehlen bei allem Respekt für Andrey Rublev (ATP 7), Casper Ruud (ATP 8) oder Stefanos Tsitsipas (ATP 14) allerdings. So mutiert Stan Wawrinka bei seinem möglicherweise letzten Auftritt in der St. Jakobhalle als aktuelle ATP Nr. 169 zum grössten Zugpferd, gefolgt von der Hoffnung auf einen zweiten Schweizer Exploit, z.B. von Dominic Stricker (ATP 258), der nach einem komplett missglückten und verletzungsgeplagten Jahr im heutigen Auftaktspiel (6:4 6:4 vs. Tallon Griekspoor) überzeugte. Allen anderen Teilnehmern im 32er-Feld ist nicht zuzutrauen, mit ihrem Spiel und Standing das Interesse am Turnier über den Kreis der eingefleischten Tennisfans hinaus zu steigern. Ein Problem, das auch zahlreiche Turnier im Ausland kennen. Woran liegt das?
Der Fluch der «Grossen Drei»
Rund 20 Jahre lang musste man sich als ATP-Turnierganisator eigentlich nur eine Sorge machen: Wie kriege ich einen der globalen Tennis-Superstars um Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic dazu, bei mir aufzuschlagen? Konnte man einen der «Big Three» für eine staatliche Antrittsgage zur Teilnahme am eigenen Anlass bewegen, war mehr als die halbe (Hallen)Miete bereits eingespielt. Die Zuschauer füllten in der Folge die Ränge, TV-Kameras übertrugen die Bilder und Sponsoren schätzten die Gelegenheit, sich einem internationalen Publikum zu präsentieren und die hochklassigen Veranstaltungen zur Kundenpflege zu nutzen. Tennis mit Federer, Djokovic und Nadal war eine Erfolgsgeschichte, auch weil ob der sportlichen Dominanz und Konstanz des Trios fast immer die gesamte Turnierwoche Sport auf allerhöchstem Niveau versprach. Da liess sich auch verschmerzen, dass sich im Schatten der «Grossen Drei» während zwei Jahrzehnten keine legitimen Nachfolger oder nur schon Herausforderer etablieren konnten – von wenigen Ausnahmen wie Andy Murray oder Stan Wawrinka abgesehen. Das rächt sich jetzt, nach Federers Abgang und kurz vor Nadals Rücktritt, speziell für Turniere der zweithöchsten ATP-Turnierkategorie wie die Swiss Indoors. Zwar sind in den letzten beiden Jahren mit dem Spanier Carlos Alcaraz (ATP 2) und dem Italiener Jannik Sinner (ATP 1) zwei neue, mit mehreren Grand-Slam-Titeln bestückte Stars am Tennishimmel aufgetaucht. An Turnieren wie in Basel oder dem parallel stattfindenden ATP-500-Anlass in Wien sind die beiden jedoch eher selten am Start. Nicht immer, weil sie sich eine Woche lange lieber der Schonung oder dem Training widmen wollen.
Der «Six Kings Slam» als neuer Herausforderer der Weltranglistenturniere
So zum Beispiel in der vergangenen Woche, als sich Sinner und Alcaraz gemeinsam mit Novak Djokovic, Rafael Nadal, Daniil Medvedev und Holger Rune in Riad zum gemeinsamen Stelldichein zu Showzwecken trafen. Mitten in der Saison und in direkter Konkurrenz zum Turnierkalender der ATP, dessen Turniere mit der in Saudi-Arabien garantierten Startgage von 1,5 Mio. USD pro Spieler nicht im Ansatz mithalten konnten. Verrückt: Die schlussendlich für drei Tage Tennis an Champion Jannik Sinner ausgehändigte Siegerbörse von 6 Mio. USD war das grösste, je im Tennis ausbezahlte Preisgeld. Zum Vergleich: Für seinen Sieg an den US Open erhielt der Südtiroler kürzlich 3 Mio. USD, in Basel werden insgesamt 2,4 Mio. Euro an Preisgeld an die Spieler verteilt. Aber die exorbitanten Start- und Preisgelder in Riad sind nur die eine Seite der Medaille, die andere ist die Tatsache, dass in dieser Woche weder in Basel noch Wien einer der fünf Top-Spieler des «Six Kings Slam» am Start ist. Der Tour fehlen also genau jene Spieler, welche in den letzten vier Jahren sämtliche GS-Titel unter sich aufteilten. Das ist schade für die Tennisfans vor Ort und vor dem TV, schlecht für die betroffenen Turnierorganisatoren und mittelfristig auch zum Nachteil eines Grossteils der Spieler auf der Tour, deren Preisgelder in direkter Korrelation zum Interesse am Sport und von Seiten der Sponsoren stehen. Fehlende Zugpferde sind da wenig sinnvoll – insbesondere auf Kosten eines Show-Turniers, welches ohne jegliche Rücksicht auf Verluste und aus reinen Prestigegründen operiert.