Schön war's: Der kurzen Ära Leverkusen droht das Ende
Noch sind vier Spiele zu spielen. Noch besteht die theoretische Chance, den Titel zu verteidigen. Und doch glaubt in diesem Zusammenhang niemand mehr an Bayer Leverkusen. Im Gegenteil: Bayer als dauerhafter Herausforderer der grossen Bayern – diese Geschichte scheint ein Jahr nach dem Double-Gewinn passé.
Kurz, aber intensiv
Eigentlich spielt Bayer Leverkusen auch in diesem Jahr eine richtig gute Saison. Die beste in über 20 Jahren, wäre da nicht die letztjährige Traumsaison gewesen, die alles bisher dagewesene in der Klubgeschichte des 1904 gegründeten Turn- und Sportverein Bayer 04 Leverkusen e.V. in den Schatten stellte. Wie gut war diese letzte Spielzeit? Sagen wir mal einmalig – und das nicht nur für einen Klub, der den Platz im entscheidenden Moment zuvor stets als zweiter Sieger verlassen hatte. Deutscher Meister ohne eine einzige Niederlage (28 Siege, 6 Unentschieden), Pokalsieg, Einzug ins EL-Endspiel und eine im europäischen Spitzenfussball noch nie dagewesene Serie von 51 Pflichtspielen ohne Niederlage. Kurzum eine Spielzeit, die auch bei den Bayern Münchens und Real Madrids dieser Welt mit besonderer Genugtuung wahrgenommen worden wäre. Dabei war von einem solchen Aufstieg der Werkself noch ein paar Monate vorher wenig zu spüren.
An der Spitze ist die Luft dünn
Doch ganz egal wie rasant und beeindruckend ein Klub die Stufen an die absolute Spitze erklimmt – oben zu bleiben, war schon immer deutlich anspruchsvoller, als dahin zu kommen. Erst Recht für einen Verein wie Bayer, wo es mit Ausnahme von Trainer Xabi Alonso und Berater Rudi Völler keinen einzigen Akteur auf und abseits des Platzes gab, der im Umgang mit so viel Erfolg schon einmal Erfahrungen gesammelt hatte. Zum Beispiel damit, was es bedeutet, den Hunger zu behalten, auch wenn man bereits satt ist. Oder im Umgang mit den erhöhten Erwartungen. Diese können auch ein Vorteil sein, aber klar ist, dass mit dem Wissen, alles gewinnen zu können, auch eine entsprechende Grundhaltung im Verein und in dessen Umfeld Einzug hält, die eigentlich nur mit weiteren Siegen und Titeln befriedigt werden kann. Eine Kunst, die nur ganz wenige Mannschaften in Europa beherrschen und die auf Spieler, Trainer und Verantwortliche belastend oder sogar ermüdend wirken kann. So betrachtet ist es keine Überraschung, dass Bayer Leverkusen in dieser Saison immer wieder dann Schwierigkeiten hatte, wenn die Herausforderung auf dem Papier (Kiel, Bochum, St. Pauli, Bielefeld) mit am geringsten war. Mit dem Erfolg als Normalzustand zu leben musste Bayer erst lernen – und hat dabei während des gesamten Saisonverlaufs immer wieder mal Rückschläge erlitten.
Mit Alonso steht und fällt die künftige Ausrichtung
Entsprechend wird es diesen Sommer zu Veränderungen beim Werksklub kommen. Wie drastisch diese ausfallen werden, hängt in erster Linie davon ab, wo Trainer Xabi Alonso seine Zukunft sieht. Der ehemalige Weltklasse-Mittelfeldspieler war gut beraten, die Erfahrungen dieser Spielzeit in seinen sich noch füllenden Trainer-Rucksack zu packen, bevor er demnächst wohl bei Real Madrid aufschlagen wird. Auch dort werden Siege und Titel erwartet werden, sind sogar so sehr Teil der Klub-DNA, wie vielleicht nur noch in München. Und trotzdem wird erwartet, dass Alonso den Schritt zurück zu dem Klub, mit dem er zwischen 2012 und 2014 Meisterschaft, Pokal und Champions League gewann, wagen wird, was in Leverkusen einen Rattenschwanz an Veränderungen nach sich ziehen könnte. Abwehrchef Jonathan Tah ist bereits weg, Supertalent Florian Wirtz könnte seinem Mentor zu den „Königlichen“ folgen und auch Granit Xhaka wird gerüchteweise bereits mit Galatasaray Istanbul in Verbindung gebracht. Natürlich, dass sind zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Spekulationen, zeigen aber auf, wie schwer der wahrscheinliche Abgang des Erfolgstrainers Bayer treffen könnte. Natürlich wird das in den letzten Jahren äusserst erfolgreich agierende Führungs-Duo um Sportdirektor Simon Rolfes und Geschäftsführer Fernando Carro entsprechend Gegensteuer geben, es dürfte jedoch schwierig werden, die Mannschaft auf ihrem noch immer sehr hohen Niveau zu stabilisieren und dabei gleichzeitig einen neuen Kern aufzubauen. Den Nimbus von „Neverlusen“, dem Aufsteiger der letzten eineinhalb Jahre, hat Bayer durch die Gerüchte und Ergebnisse der letzten Wochen und Monate bereits eingebüsst.