Schafft Guardiola mit City rechtzeitig die Wende? Zwei Meinungen
Am Sonntag kämpft Meister Man City in Liverpool in der Premier League um die letzte Titelchance. Trainer Pep Guardiola wirkt nach sechs sieglosen Spielen angeschlagen – ist ihm der Turnaround noch zuzutrauen? Unsere Redaktoren Patrick Y. Fischer und Andy Maschek sind ungleicher Meinung.
Patrick Y. Fischer sagt: Ja
Zugegeben, die aktuelle Situation bei Manchester City ist alles andere als alltäglich. Nach elf Spieltagen steht der vierfache Titelverteidiger nur auf Rang zwei der Premier-League-Tabelle mit acht Punkten Rückstand auf Tabellenführer Liverpool. Dabei noch aussergewöhnlicher: Noch vor einem Monat bewegten sich die beiden Rivalen auf Augenhöhe, führte City die PL sogar mit einem Punkt Vorsprung auf die Reds an. Doch seitdem ist im Kosmos des gemeinsam mit Real Madrid erfolgreichsten Fussballvereins der letzten Jahre nichts mehr wie sonst. Mittlerweile ist die Mannschaft um Stars wie De Bruyne, Haaland oder Akanji seit sechs Spielen sieglos, reihte in der Meisterschaft zuletzt sogar drei Niederlagen aneinander. Man City steckt – wie es blue Sport-Experte Mladen Petric am Dienstag treffend formulierte – tief im «November Blues». Und trotzdem traue ich es Pep Guardiola und seinen Mannen zu, bereits am Sonntag an der Anfield Road den entscheidenden Schritt aus der Krise zu machen.
Natürlich. Auch Guardiola wirkte zuletzt – als die Citizens in der Schlussphase innert 15 Minuten ein 3:0 gegen Feyenoord Rotterdam verspielten – zunehmend ratlos und fast ein wenig panisch, ob der erneuten Versäumnisse seiner Mannschaft. Und offensichtlich geht die aktuelle Situation auch am erfolgsverwöhnten Spanier, der offen über die aktuelle Zerbrechlichkeit seiner Mannschaft und die Notwendigkeit eines positiven Ergebnisses in Liverpool spricht, nicht spurlos vorbei. Doch diese vermeintlichen Zeichen der Schwäche spielen eigentliche keine Rolle. Denn Pep Guardiola ist kein gewöhnlicher Trainer. Er ist ein Erfolgstrainer, dessen Palmarès über 20 Titel in den grössten und wichtigsten Wettbewerben der Welt zieren.
Gewiss, in der aktuellen Situation beschreitet auch der erfahrene Spanier Neuland. Seit er 2016 das Zepter bei Manchester übernahm, hatten die Citizens noch nie so zu beissen, wie aktuell. Und natürlich wäre es dem zweifachen CL-Sieger lieber, er könnte in der aktuellen Phase auf den verletzten Spielgestalter Rodri zurückgreifen. Doch auch ohne den langzeitverletzten Spanier weiss Guardiola, worauf es jetzt ankommt und was er besonders gut kann. Nämlich auf seine verunsicherten Spieler einzugehen, ihnen mit einem neuen Plan frischen Mut, neues Selbstvertrauen und vielleicht auch jene Prise Motivation zu vermitteln, welche nach fünf Titeln in zwei Jahren zuletzt ein wenig fehlte. Denn so wie zuletzt kann es fraglos nicht weitergehen, wenn City in dieser PL-Saison noch etwas reissen möchte. Der Zeitpunkt, um in die Erfolgsspur zurückzukehren, ist jetzt. Und ich glaube daran, dass Guardiola diesen Spurwechsel am Sonntag gemeinsam mit seinem Team vollziehen kann.
Andy Maschek sagt: Nein
Pep Guardiola eilte in den letzten Jahren von Sieg zu Sieg, zelebrierte mit Barcelona, Bayern München und nun Manchester City die Leichtigkeit des Siegens. Mit Barça und ManCity schaffte er es auch auf den europäischen Fussball-Olymp, gewann die Champions League. Doch nun zeigt Manchester City plötzlich Schwächen. Die Erfolgsmaschinerie ist bös ins Stottern geraten. Die Citizens haben erstmals seit fast 20 Jahren fünfmal in Folge verloren. Am Dienstag verschenkten sie in der Champions League eine 3:0-Führung und gewannen gegen Feyenoord Rotterdam am Ende nur einen Punkt. Dass eine Mannschaft einen Drei-Tore-Vorsprung in der Schlussviertelstunde verschenkt und den Sieg verpasst, war in der Königsklasse übrigens eine bittere Premiere. Und auch für Guardiola war es ein Novum: In seinem 942. Spiel als Cheftrainer gewann er erstmals ein Spiel nach einer Drei-Tore-Führung nicht.
Die Überflieger aus Manchester sind brutal hart auf dem Boden der Realität gelandet. Sechs Meistertitel in sieben Jahren und ein historisches Triple? Das zählt plötzlich nicht mehr viel, stattdessen reagieren die Fans nach dem Unentschieden mit Buhrufen und Pfiffen und Erfolgscoach Guardiola sagt: «Sie sind enttäuscht, natürlich verstehen wir das. Sie haben definitiv das Recht zu zeigen, wie sie sich fühlen.»
Ganz klar, der Lack hat Kratzer bekommen. Dass der Vertrag mit Guardiola gerade erst um zwei Jahre verlängert wurde, wird sicher nicht überall goutiert. Der Spanier wirkt nervös, ratlos, fahrig. Er scheint aktuell kein Rezept zu haben, um auf diese Krise zu reagieren. Und ich zweifle stark daran, dass er dieses Problem bis am Sonntag lösen kann. Weltfussballer Rodri, sein wohl wichtigster Spieler, fällt weiterhin aus. Die Spieler begehen Fehler, die ihrer (Gehalts-)Klasse nicht entsprechen. Guardiola spricht von einem «zerbrechlichen» Team, vermutet mentale Probleme. Speziell die Defensive ist löchrig, ja historisch schwach. Erstmals seit 1963 (!) mussten die Skyblues in sechs Spielen in Folge mindestens zwei Gegentore einstecken. Es ist alarmierend!
Was nun? Gibt es Hoffnung auf eine Wende, bevor es zu spät ist? Guardiola hat in der Vergangenheit immer wieder seine genialen Züge gezeigt, die Gegner überlistet. Aber mit seiner fordernden und impulsiven Art besteht gerade in einer schwierigen Situation die Gefahr, dass er seine Spieler überfordert. Und die sind aktuell alles andere als in Form, einstige Leistungsträger wie Kyle Walker, Ilkay Gündogan oder Kevin De Bruyne befinden sich im Abendrot ihrer Karriere, haben ihren Zenit überschritten. Und in der Offensive sind die Citizens auf Gedeih und Verderb von Erling Haaland abhängig, der in der Premier League bislang drei Mal gegen Liverpool spielte, nur einen Treffer erzielte, zweimal zu einem Remis kam, aber noch keinen Sieg feierte.
Aus all diesen Gründen ist es für mich deshalb höchst wahrscheinlich, dass die Skyblues auch gegen Liverpool abstürzen und der Titeltraum schon am ersten Advent in Schall und Rauch aufgeht.