Nach fünf sieglosen Bundesliga-Heimspielen durften die BVB-Fans endlich wieder im Signal Iduna Park jubeln. Und wie! Mit einem 6:0-Kantersieg gegen Union Berlin gelang dem BVB ein echter Befreiungsschlag und zugleich der erste Bundesliga-Sieg unter dem neuen Trainer Niko Kovac. Doch trotz des Torspektakels ist in Dortmund noch lange nicht alles im Reinen.
Von Patrick Berger und Niklas Korzendorfer
Das Lächeln ist zurück bei Borussia Dortmund! Der Erfolg zeigt: Niko Kovacs fussballerische Idee kann beim BVB durchaus erfolgreich sein, weil er in kürzester Zeit - rund drei Wochen nach seinem Debüt - bereits an einigen Stellschrauben gedreht hat. Sky klärt auf, was der neue Borussia-Coach bereits verändert hat!
1. Pragmatismus als Trumpf
Kovac wählt auch in Dortmund - wie schon bei seinen vorherigen Stationen - einen pragmatischen Ansatz. Der 53-Jährige ist ein Malocher, der sich über harte Arbeit und Disziplin defniniert. Das durften die BVB-Stars bereits in den ersten Wochen unter ihrem neuen Chef spüren. Die Trainingseinheiten sind geprägt von hoher Intensität, viel Kampf und der Arbeit an den Grundlagen. Kovac verlangt von seinen Profis eine hohe Einsatzbereitschaft.
Zudem wählt er einen anderen Spielansatz als sein Vorgänger Nuri Sahin. Der Kroate, der mit dem FC Bayern in der Saison 2018/19 das Double gewinnen konnte, charakterisiert sich nicht über Ballbesitz-Fussball, vielmehr verlagert er das Spiel oftmals auf die Flügelpositionen. Auch lange Bälle sind unter ihm wieder ein bewährtes Mittel, um die pfeilschnellen Angreifer wie Jamie Gittens oder Serhou Guirassy gezielt in Position zu bringen. Der Stürmer konnte sich zuletzt wieder vermehrt darauf fokussieren, auf Flanken zu lauern, anstatt - wie noch unter Sahin - als Wandspieler überwiegend die Bälle festzumachen und weiterzuleiten.
2. Pascal Gross als neue Schlüsselfigur
Diese neue Stärke hat Pascal Gross gegen Union Berlin direkt als Trumpf auserkoren: Der zwölffache deutsche Nationalspieler ist der grosse Gewinner unter Kovac, weil er seit dem Trainerwechsel deutlich mehr Freiheiten im Spiel geniesst. Gegen den Ball agierte Gross gegen Union zwar als Sechser, wenngleich er mit dem Ball eine deutlich offensivere Rolle einnahm. Als Achter kann er vor allem seine Qualität bei Flanken aus dem Halbfeld oder vom Flügel besser unter Beweis stellen. Vier (!) Treffer bereitete er gegen die Eisernen vor, drei davon per Flanke. Beim zwischenzeitlichen 4:0 (75.) eroberte Gross erst den Ball im gegnerischen Strafraum und setzt dann Guirassy mit einem Steckpass in Szene, der aus dem spitzem Winkel verwandelte.
Auffällig dabei: Gross ist offensiv aktiver, verteidigt höher - teilweise am gegnerischen Strafraum - und kreiert selbst mehr Chancen, die zum Torerfolg führen. Das erinnert stark an seine Rolle, die er einst in Brighton innehatte. Mit 18 Torbeteiligungen (13 Tore, fünf Vorlagen) in 47 Pflichtspielen in der Premier League (36), im FA-Cup (acht) und in der Europa League (drei) konnte der zentrale Mittelfeldakteur im vergangenen Jahr seine Offensiv-Qualitäten unter Beweis stellen. Durch diese Leistungen hat er es bis in den DFB-Kader von Julian Nagelsmann für die Heim-EM im Sommer 2024 geschafft.
"Er hat eine hohe Übersicht, die Ruhe am Ball und das Auge für die Mitspieler. Das ist genau der Pascal, den wir uns alle wünschen", sagte Kovac nach der Partie gegen Union Berlin am Sky-Mikro.
3. Eine klare Hierarchie und Vertrauen als Mutmacher
Nicht nur Gross, sondern vor allem auch Torjäger Guirassy avancierte mit dem erster Viererpack seiner Karriere gegen die Berliner zum Matchwinner. Zuletzt gelang es dem BVB immer wieder, den Stürmer in gute Abschlusspositionen zu bringen. Ausserdem treten die BVB-Stars, deren Einzelqualitäten freilich unbestritten sind, wieder als Team auf, weil Kovac einer klaren Achse im Team vertraut - trotz herber Kritik von allen Seiten. Denn der Trainer verzichtete zuletzt trotz einiger erschreckender Auftritte auf eine übermässige Rotation.
Stattdessen hält er an den Gesichtern der Krise wie Julian Brandt, Emre Can oder Marcel Sabitzer fest. Gegen Union war Brandt zwar kurzfristig aufgrund einer Muskelverhärtung zum Zuschauen verdammt, trotzdem nimmt er eine tragende Rolle im Kovac-System ein. Das Vertrauen des Trainers - gepaart mit seiner Malocher-Mentalität - löst scheinbar Schritt für Schritt die Blockaden im Kopf der zuletzt glücklosen BVB-Stars. Mit Erfolgserlebnissen wie gegen Union Berlin und täglich harter Arbeit auf dem Trainingsplatz kehren zumindest langsam das Selbstvertrauen sowie das zuletzt fehlende Selbstverständnis zurück.
Kehl: "Sind noch nicht da, wo wir hinwollen"
Für den Moment scheint Kovacs pragmatische Herangehensweise Wirkung zu zeigen. Doch in Dortmund wissen sie in dieser Spielzeit nur zu gut, dass auf ein Erfolgserlebnis prompt der nächste Rückschlag folgen kann.
"Wir sind immer noch nicht da, wo wir hinwollen. Wir müssen an den kleinen Themen arbeiten und fahren dann am Wochenende auf St. Pauli", dämpft Sportdirektor Sebastian Kehl die Euphorie am Sky Mikro.
Am Samstag sind Kovacs Schützlinge am Millerntor gefordert und müssen einmal mehr beweisen, dass der Gala-Auftritt in der Bundesliga gegen Union Berlin mehr als nur eine Eintagsfliege war. Spätestens dann dürfte das Lächeln in Dortmund endgültig wieder breiter werden.