Nach den WM-Feierlichkeiten folgt der Weltcup-Alltag
Der Saisonhöhepunkt ist vorbei, die Saison noch nicht. In Crans-Montana geht es für die Schweizer Speed-Fahrer vor allem darum, die innere Spannung rechtzeitig wieder aufzubauen.
Als "sicher nicht einfach" bezeichnet Marco Odermatt die Rückkehr in den Weltcup-Alltag. Schliesslich ist die emotional aufgeladene WM noch kaum verdaut. Sowieso jagte für den Nidwaldner seit Neujahr ein Höhepunkt den nächsten: Adelboden, Wengen, Kitzbühel und zuletzt eben Saalbach, wo Odermatt mit einem Traumlauf im Super-G triumphierte, in der Abfahrt (5.) und im Riesenslalom (4.) aber auch leichte Enttäuschungen hinnehmen musste.
So viel Energie durch Emotionen freigesetzt werden kann, so viel Energie kann es auch kosten, nach getaner Arbeit alles zu verdauen. Ein Spannungsabfall ist fast unvermeidlich. Odermatt sagt jedenfalls offen, dass er durchaus eine gewisse mentale Müdigkeit spüre. "Körperlich fühle ich mich zwar fit, aber letztlich beeinflusst das eine immer das andere. Wenn der Kopf müde ist, hat das Auswirkungen auf den Körper - und umgekehrt."
Das sieht auch Abfahrtsweltmeister Franjo von Allmen so. Die grosse Herausforderung für die Rennen in Crans-Montana sei es, "alles wieder hochzufahren". Wie beispielsweise auch Alexis Monney konnte sich der Berner Oberländer in der Zeit zwischen der WM und Crans-Montana nur bedingt erholen. Für beide wurden Feste organisiert, bei denen sie sich viel Zeit für ihre Fans nahmen. "Das ist einerseits sehr schön, wenn man sieht, wie viele Emotionen man auslösen konnte. Das möchte ich auch geniessen", sagt Von Allmen. "Andererseits bin ich dann auch froh, wenn ich wieder Zeit für mich habe."
Doch nicht alle Fahrer sprechen von mentaler Müdigkeit. Loïc Meillard war mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille der Überflieger der WM. Am vergangenen Sonntag triumphierte er als erster Schweizer seit 75 Jahren im WM-Slalom, am Montag reiste er in die Schweiz zurück. Als Technikspezialist hätte er allen Grund, sich eine Pause zu gönnen. Trotzdem bestritt er in Crans-Montana das erste Abfahrtstraining und startet am Sonntag im Super-G. Auch weil er die WM-Strecke von 2027 kennenlernen wollte.
"Ich wusste gleich nach der WM, dass es weitergeht, dass neue Rennen und neue Chancen kommen", sagt Meillard. Der 28-Jährige nennt Erfahrung als wichtigen Faktor, um sich schnell wieder fokussieren zu können. "Ich habe den Vorteil, dass ich von den letzten beiden Weltmeisterschaften weiss, wie es ist, Medaillen zu gewinnen. Damals fiel es mir schwerer, mich danach sofort wieder auf den Weltcup zu konzentrieren." Diesmal sei das anders.
Auch bei Meillard war die Rede davon, ihm einen grossen Empfang zu bereiten. Doch der Neuenburger lehnte ab. Wegen des vollen Terminkalenders sollen die Feierlichkeiten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Auch das bringt die Erfahrung: Man lernt Nein zu sagen.
Zur allgemeinen Müdigkeit gesellt sich in Crans-Montana auch noch die Streckenführung. "Das ist die einfachste Weltcup-Abfahrt, die ich je gefahren bin", sagt Odermatt und kann einen gewissen Frust nicht verbergen. Denn für den technisch versierten Fahrer ist es schwierig, auf dieser Piste seine Stärken auszuspielen. Andere Fahrer argumentieren dagegen, dass unterschiedliche Pisten eben unterschiedliche Fähigkeiten erfordern. In Crans-Montana könnten die starken Gleiter auftrumpfen.
Von Allmen ist einer von ihnen. Auch er sagt, die Strecke sei im Vergleich einfacher zu fahren. "Das bedeutet aber nicht, dass es auch einfach ist, schnell zu sein. Ein kleiner Fehler kann dich viel kosten, weil es dann sehr schwierig wird, das Tempo wieder aufzubauen", sagt der 23-Jährige. Angesichts der Herausforderung, die innere Spannung zu finden, ist die einfach zu fahrende Strecke Fluch und Segen zugleich. Einerseits müssen die Fahrer nicht gleich wieder alles riskieren, andererseits kann diese Einstellung auch zu Unkonzentriertheiten führen.
WM-Blues hin oder her: Im Ski-Weltcup geht es auf jeden Fall weiter. In einem Monat steht das Saisonfinale in Sun Valley, Idaho, auf dem Programm. Bis dahin werden bei den Männern noch zwei Rennen pro Disziplin ausgetragen, in der Abfahrt sind es drei. Nach dem Kampf um die Medaillen folgt der Kampf um die Kugeln. Erst danach folgt die Belohnung in Form einer längeren Pause.