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Michael Olise – ein effizienter Flügelspieler mit untypischem Profil

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Der frischgebackene Nationalspieler Michael Olise hat in diesem Sommer folgerichtig den Schritt zu einem internationalen Spitzenklub gemacht – nach einem Olympiaturnier, das seine Popularität endgültig in die Höhe schnellen liess. Der Linksfuss aus London hat sich beim bestens besetzten FC Bayern in die Startelf gespielt, sammelt Statistiken – und verändert seinen Status. Eine Analyse seiner Rolle und seines Profils, das für einen Spieler seines Typs eher ungewöhnlich ist.

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Michael Olise ist in dieser Saison der X-Faktor des FC Bayern © IMAGO / Sven Simon

Geboren in London, ausgebildet bei Chelsea und durchgebrochen bei Crystal Palace, hat Michael Olise in den letzten Monaten einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Nach seinen starken Auftritten in der Premier League war sein Abschied von Palace nur eine Frage der Zeit – und der Franzose schloss sich dem FC Bayern an, wo er sich rasch einen Stammplatz sicherte.

Als wichtiger Bestandteil des französischen Olympia-Teams bei den Spielen in Paris fiel Olise durch seine Ausstrahlung und Effizienz auf dem Platz auf. Seine Nominierung für die A-Nationalmannschaft im September war ein logischer nächster Schritt – auch wenn er kaum Französisch spricht, hat sich der Londoner aus emotionaler Verbundenheit für das französische Trikot entschieden, trotz seiner britischen Sozialisation.

Mit bereits 11 Scorerpunkten in 16 Einsätzen für den FC Bayern spielt er seine Stärken voll aus – gestützt auf eine Morphologie und Spielgewohnheiten, die für einen Flügelspieler eher ungewöhnlich sind.

Seine Rolle und sein Wirkungsbereich im Bayern-System unter Kompany

Bei einem Kader mit nicht weniger als acht Offensivspielern bzw. Flügelspielern (Kane, Müller, Musiala, Gnabry, Sané, Coman, Tel – und eben Olise) ist es wenig überraschend, dass Kompany und Maric ein System gewählt haben, das man am treffendsten als 4-2-4 bezeichnen kann.

In dieser offensiven Grundordnung kann Bayern extrem vertikal agieren – insbesondere gegen hochstehende Gegner – und die Tiefe direkt attackieren, gestützt auf Spielertypen wie Gnabry, Coman oder Tel.

Mit vielen Positionswechseln und Präsenz zwischen den Linien – darunter eine Art Doppel-Falsche-Neun – gelingt es den Münchnern (unter anderem durch das Zurückfallen von Kane), die gegnerische Abwehr aus ihrer Linie zu ziehen, um anschliessend deren Rücken gezielt zu attackieren. Ein bewusst verwirrendes Spiel, das die Grenzen zwischen Flügel- und Mittelstürmer auflöst.

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Gnabry, im Ausgangssystem eigentlich zentraler Offensivspieler im 4-2-4, rochiert immer wieder nach außen – teils sogar weiter als Olise. Diese Wechselspiele machen Bayern gegen hochstehende Blöcke besonders gefährlich.

Dieses kollektive Können zwingt die meisten Gegner dazu, in einen tiefstehenden Block zu verfallen und auf eine stark reaktive Spielweise zu setzen. In dieser Struktur findet sich Olise – mit seinem starken linken Fuss – meist auf dem rechten Flügel wieder, auch wenn es diesen klassischen rechten Flügelspieler in diesem System eigentlich gar nicht gibt. Sein Platz in der Startelf – bislang unbestritten – wurde dabei auf Kosten von Leroy Sané erobert, was für sich spricht.

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Die durchschnittlichen Ballkontakte von Bayern – und speziell von Olise – in der Serie [D. Zagreb – Werder – Leverkusen – A. Villa – Frankfurt] zeigen klar: Der Franzose agiert rechts, aber in einem eher innenorientierten Stil.

Allerdings entspricht sein Spielstil keineswegs – oder vielmehr überhaupt nicht – dem eines klassischen Flügelspielers, der bis zur Grundlinie durchbricht oder weite Räume in der Tiefe nutzt.

Wer Olises Duelle mit gegnerischen Aussenverteidigern analysiert, tut sich schwer, auch nur ein einziges klassisches Überlaufen aussen mit anschliessendem Flankenlauf oder Tempodribbling Richtung Tor zu finden. Selbst bei Dribblings nach innen fehlt dem Londoner die explosive Beschleunigung mit Ball – das ist nicht sein Revier.

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Was sich im sehr variablen 4-2-4 der Bayern allerdings nicht ändert, ist der Spielaufbau über das doppelte Duo [Upamecano – Kim] und [Kimmich – Pavlović], entweder im 2+2- oder im 3+1-Aufbau.

Dahinter variiert die Struktur je nachdem, ob Bayern zwischen einem [3-1]-2-4 oder dem 4-2-4 wechselt – oder besser gesagt: einem [2-2]2-2-2.

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Olise positioniert sich temporär halblinks in Bayerns [3-1]-6-Offensivformation, die darauf ausgelegt ist, die gegnerische Abwehrlinie zu destabilisieren.

Er kann auch aussen agieren und sich mit dem rechten Aussenverteidiger die Position tauschen – so entsteht Breite über Rochaden.

Meistens bewegt er sich jedoch im sogenannten Halfspace, also im Raum zwischen Flügel und Zentrum auf Höhe des Strafraums. Kein Zufall: Olise – dessen Profil durch diese offensive Struktur perfekt zur Geltung kommt – ist ein flügellastiger Spieler mit Tororientierung, tödlich im letzten Kontakt. Mehr Finisher als Sprinter.

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Olise im rechten Halfspace, beinahe als rechter Achter im 3-1-4-2 – einem flexiblen Offensivsystem der Bayern, in dem kein Offensivspieler wirklich an eine feste Position gebunden ist.

Ein "aerieller" Spielertyp

n letzter Zeit haben motorische Präferenzen zunehmend an Bedeutung gewonnen, um das Spielverständnis und die Spielerprofile besser einordnen zu können. Eine dieser Kategorien unterscheidet zwischen sogenannten "erdverbundenen" (terrestrischen) und "aeriellen" Spielern.

Vereinfacht gesagt:
Terrestrische Spieler haben einen tieferen Körperschwerpunkt, oft kürzere Beine, profitieren von besserem Gleichgewicht und sind dadurch in der Lage, schnell und explosiv die Richtung zu wechseln. Sie verlagern ihr Körpergewicht leicht nach vorne.
Aeriellen Spielern hingegen fällt das schwerer – sie sind meist „steifer“ in der Bewegung und behalten ihr Gewicht eher nach hinten verlagert.

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Beispiel: Der "terrestrische" Marmoush überläuft Upamecano und bedient den "aeriellen" Ekitike

Wie Lewandowski – dessen Profil wir bereits an anderer Stelle analysiert haben – gehört auch Olise zur Kategorie der "aeriellen" Spieler. Mit 1,84 m bringt er für einen Flügelspieler eine stattliche Grösse mit, und wie beim Polen verleihen ihm seine langen Beine sowohl Vorteile als auch Einschränkungen.

"Aerielle" Spielertypen haben oft Schwierigkeiten, aus dem Stand schnell zu beschleunigen – dafür sind sie in statischen Situationen deutlich gefährlicher.

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Merkmale wie Außenspann-Dribblings, geringe Flexionsfreude und eine Tendenz zur rückgelehnten Haltung sind typisch für Spieler seines Typs – und auch bei Olise klar erkennbar.

Gefährlich aus dem Stand

So kommt es, dass Olise – mit bereits 7 Toren und 4 Assists in 16 Spielen – seine Stärken gezielt einsetzt, vor allem im letzten Drittel, sei es beim Torabschluss oder im finalen Pass.

Wie bereits erwähnt (ohne in allzu viele Details zu gehen – es gibt zahlreiche Zwischenstufen), haben "aerielle" Spieler oft Schwierigkeiten, sich "nach vorne zu neigen", und zeigen eine gewisse Steifheit. Olise spürt das insbesondere bei Dribblings aussen, die ihm selten gelingen.

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Gegen Zagreb (1. Spieltag) erhält er den Ball zwischen den Linien, doch obwohl er Raum vor sich hat, gelingt es ihm nicht, aus dem Stand Tempo aufzunehmen. Aston Villa wählte in Spiel 2 genau diese Herangehensweise.

Allerdings: Wenn sich der Gegner ihm stellt, verfügt Olise über eine Waffe, die viele "aerielle" Spieler beherrschen – der Beinschuss. Man denke hier etwa an Busquets (ebenfalls ein klar "aerieller" Spieler), der diesen Trick perfektioniert hat. Auch Olise zählt zu den Spezialisten.

Er setzt diesen Move gezielt gegen Frankfurt ein – beim Treffer zum 3:2 (das Spiel endete schliesslich 3:3):

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Kane bedient Olise, der Dahoud mit einem feinen Beinschuss aussteigen lässt, dann nutzt er seine langen Beine, um Kauã Santos mit einem kraftvollen Abschluss aus dem Stand zu überwinden.

Wie schon bei Lewandowski analysiert: Lange Beine ermöglichen einen kräftigen Schuss auch ohne grossen Anlauf – etwas, das kleinere Spieler durch zusätzlichen Raum und Rhythmus kompensieren müssen.

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Ein berühmtes Beispiel für einen „terrestrischen“ Spieler, der Anlauf braucht.

Und mit Anlauf kommt auch Zeit ins Spiel – die Olise gar nicht benötigt. Wie oben beim Tor zu sehen ist: Sein Abschluss erfolgt so plötzlich, dass der brasilianische Keeper keine Chance hat. Dieser "Katapult-Effekt" ist typisch für seinen Körpertyp – während ein eher „erdverbundener“ Spieler mehrere Kontakte gebraucht hätte, um Position und Wucht aufzubauen.

Diese beiden Merkmale – Morphologie und motorische Präferenz – setzte Olise auch gegen den SV Werder Bremen gewinnbringend ein:

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In Gleichzahl gegen die Fünferkette des SVW wird Olise zentral von Davies bedient – mit dem Rücken zum Tor.
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Er dreht sich, wird von Stark, dem zentralen Mann der Fünferkette, gestellt.

In der folgenden Szene wird deutlich: Olise, dem das klassische Überlaufen durch seinen hohen Körperschwerpunkt schwerfällt, entscheidet sich erneut für den Beinschuss (hier: Pass durch die Beine) gegen den Bremer Verteidiger.

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Dank seiner Morphologie kann er sich schnell drehen, als der Innenverteidiger frontal vor ihm steht, spielt er plötzlich einen gefährlichen Ball durch dessen Beine.

Sein Pass auf Gnabry verfehlt nur knapp das Ziel. Als der Ball zu ihm zurückspringt, nutzt er – wieder gestützt auf sein rückverlagertes Körpergewicht (typisch „aeriell“) und seine langen Beine – einen überraschenden "Chip"-Move à la Golfspieler, der den Keeper auf dem falschen Fuss erwischt.

Kurzum: Olise ist kein klassischer Flügelläufer – doch seine Physis macht ihn im letzten und vorletzten Kontakt hochgefährlich, gerade in jenen Momenten, in denen der Gegner kollektiv „erstickt“, weil Bayern den Umschaltmoment unterbindet.

In diesem Zusammenhang fallen die Szenen gegen Frankfurt und Bremen besonders ins Auge: beinahe identisch.

Gebremst von Emerys Villa

Wenn man bei Olise – und beim FC Bayern insgesamt – nach dem berühmten Haar in der Suppe sucht, dann bietet sich die Serie [Unentschieden – Niederlage – Unentschieden] gegen Leverkusen, Aston Villa und Frankfurt an. Besonders auffällig dabei: das Spiel gegen den letztjährigen Premier-League-Vierten.

Emerys Mannschaft trat mit einer klar reaktiven Strategie gegen Bayern an und verzeichnete im gesamten Spiel lediglich zwei Torschüsse aufs Tor – ein klares Zeichen dafür, dass ein hoher Pressingblock gegen diese Bayern-Elf kaum durchzuhalten ist.

In dieser Partie, in der Bayern häufig im 3-1-6-System agierte, positionierte sich Olise meist zentral oder im rechten Halfspace, wurde dort jedoch selten angespielt, während Gnabry mit konsequenten Tiefenläufen aus der Breite auffiel.

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Beispielhafte Szene gegen Villa: Olise agiert als rechter Zentralstürmer, Gnabry startet aus der Breite in die Tiefe. Die Franzose wird von Digne und Torres weitgehend ignoriert – seine Präsenz dient eher dazu, deren Aufmerksamkeit zu binden.

Wie zuvor gezeigt, zeigt die Heatmap klar: Olise berührt seine Bälle auf dem Papier als klassischer rechter Flügelspieler

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Aber wie wir wissen, agiert er tatsächlich häufiger im Zentrum oder Halfspace, in einem Hybrid-Rollenmuster zwischen rechtem Achter und rechtem Mittelstürmer im bayerischen 3-1-4-2.

Seine Aufgabe:
→ Räume zwischen den Linien fordern,
→ während Gnabry (und Coman auf der gegenüberliegenden Seite im 4-2-4) in Tiefe und Breite Druck machen sollten.

Doch Olise erwischte keinen guten Tag – entweder wurde er von seinen Mitspielern ignoriert, oder er konnte die erhaltenen Bälle nicht verwerten. Man kann vermuten, dass die Villans seine relative Tempolosigkeit aus dem Stand – wie weiter oben analysiert – erkannt und entsprechend einkalkuliert hatten.

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Typische Szene: Olise bietet sich ideal zwischen den Linien an, doch Kimmich ignoriert ihn.
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Diese Sequenz bringt Villa's Fokus deutlich zum Ausdruck: Digne und Pau Torres bleiben auf Linienhöhe und priorisieren die Kontrolle der Tiefe, während das Zwischenlinien-Spiel (wo Olise positioniert ist) eher vernachlässigt wird – offenbar hielt man ihn dort für wenig gefährlich.

In Kombination mit seiner geringen Explosivität im Dribbling ergibt sich ein ambivalenter Auftritt.

Natürlich hat – wie zuvor erwähnt – jeder Offensivspieler im Kompany-System mehrere Rollen. Und tatsächlich war es ausserhalb des Blocks, im freien Raum zwischen den zwei Abwehrlinien, wo Olise beinahe seinen Stempel aufgedrückt hätte: in der 38. Minute.

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Aus dem Nichts packt Olise seinen linken Golfschläger aus. Ein plötzlicher, technisch brillanter Abschluss zwingt Martínez zu einer Glanztat.

Dabei gilt: Nur weil Olise nicht beschleunigt, heisst das nicht, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.
Seine Fähigkeit zur plötzlichen Aktion macht ihn in zentralen Räumen – vor allem im Halfspace – zu einem gefährlichen Passgeber.

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Ein weiterer Trumpf: Bei Standardsituationen, ob mit dem linken Fuss oder per Kopf, ist Olise eine ernsthafte Waffe.

Nun also Nationalspieler, ein Linksfuss mit zentralem Spielerprofil – Olise hat eine riesige Karte in der Hand, gerade mit dem Blick auf einen möglichen Rückzug von Griezmann aus der französischen Nationalmannschaft.

Sein Profil – das eher axial geprägt ist als flügellastig – könnte für Didier Deschamps oder seine Nachfolger von grossem Wert sein.

Spannend wird sein, wie seine Rolle sich weiterentwickelt, vor allem angesichts eines Leroy Sané, der wohl kaum bereit sein wird, sich dauerhaft mit der Bank zu begnügen.

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