Jannik Sinners Deal mit der WADA: Es gibt (fast) nur Verlierer
Vergangenes Wochenende sorgte diese Meldung für weltweite Resonanz: Der des Dopings verdächtigte Tennisprofi Jannick Sinner wird nach einer Einigung mit der World-Anti-Doping-Agency (WADA) für drei Monate gesperrt. Eine Einigung? Mit der WADA? Ein ebenso einzigartiges und auch in der Tennisszene umstrittenes Urteil, dass vor allem Verlierer zurücklässt.
Das Urteil
Es kam durchaus überraschend, das samstägliche Verdikt der World-Anti-Doping-Agency im Fall «Jannik Sinner». In einer Stellungnahme erklärte die WADA nämlich, sie akzeptiere die Aussage des Südtirolers, wonach dieser unbeabsichtigt und nur indirekt durch seinen Physiotherapeuten mit der verbotenen Substanz Clostebol kontaminiert worden sei. In ihrer Erklärung hielt die Agentur fest, dass der dreifache Grand-Slam-Sieger a) keine betrügerische Absicht hatte, das Medikament b) nicht leistungssteigernd wirkte und c) die Kontamination ohne sein Wissen aufgrund der Nachlässigkeit seines Umfeldes erfolgte. Gleichzeitig hielt die WADA in ihrem Urteil jedoch fest, dass Sinner als Athlet die Verantwortung für die Fahrlässigkeit seines Teams trage, weshalb eine dreimonatige Sperre ausgesprochen werde. Wobei «ausgesprochen» das Vorgehen der World-Anti-Doping-Agency nicht exakt und in korrekter Form umschreibt. Viel mehr sprach Sinner selbst in einem Statement davon, «das Angebot der WADA angenommen zu haben, das Verfahren auf der Grundlage einer dreimonatigen Sanktion abzukürzen.» Nun verpasst die aktuelle Weltnummer-1 vom 9. Februar bis 4. Mail also einen Zeitraum, in dem u.a. die vier Masters-1000-Turniere in Indian Wells, Miami, Monte Carlo und Madrid ausgetragen werden. Pünktlich zum «Heimspiel» bei den Italian Open in Rom (ab dem 7. Mai) wird Sinner dann aber auf die ATP Tour zurückkehren und auch beim zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres, den French Open in Paris, mit von der Partie sein. Rein sportlich wird der aktuelle AO-Champion die Zwangspause also verkraften können.
Die Vorgeschichte
Vergangenen August war Jannik Sinner plötzlich der am meisten diskutierte Tennisspieler der Welt. Nicht, dass der Südtiroler nicht schon vorher einer der Stars der Szene gewesen wäre, allerdings hatte seine Bekanntheit bis zu jenem Zeitpunkt ausschliesslich sportliche Gründe. Nun aber stand das ehemalige Ski-Talent plötzlich im Mittelpunkt einer aufsehenerregenden Doping-Kontroverse. Denn die damalige und aktuelle Nr. 1 der Tennis-Weltrangliste wurde im März 2024 zweimal positiv auf die verbotene Substanz Clostebol, ein anaboles Stereoid, dass den Muskelwachstum beschleunigen soll, getestet. Doch Sinner wurde dafür nicht gesperrt, sondern von einem unabhängigen Gericht vom Verdacht des Dopings freigesprochen – weil er in dessen Augen glaubhaft darlegen konnte, ohne eigenes Verschulden mit der verbotenen Substanz in Kontakt gekommen zu sein. Bei einer nachgewiesenen Menge von maximal 86 Pikogramm (1 Pikogramm = 1 billionstel Gramm) war ein nachweisbarer Effekt zwar ohnehin stets fraglich, dennoch war der Fall nicht frei von Zweifeln. Denn dass sich ein Spitzenspieler in einem hochprofessionellen Umfeld wie dem Tennissport, in dem die Stars zig Millionen mit ihrem Image verdienen, der Gefahr aussetzt, durch das fahrlässige Handeln eines Physios (der Sinner in diesem Fall kontaminiert haben soll) mit Doping in Verbindung gebracht zu werden, war stets fragwürdig. Im September 2024 entschied sich die World-Anti-Doping-Agency schliesslich dazu, gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einzulegen. An einem für April vorgesehen Hearing sollte demnach die Frage nach Sinners Schuld oder Unschuld neu beurteilt werden. Diesem Termin, der den Prozess mit Sicherheit verlangsamt und theoretisch auch eine ein- bis zweijährige Sperre für Sinner hätte herbeiführen können, sind die WADA und der mittlerweile neunzehnfache Grand-Slam-Sieger nun mit ihrer Einigung auf eine dreimonatige Sperre zuvorgekommen.
Die Reaktionen
Natürlich: Seit der Bekanntgabe der positiven Dopingproben im letzten August war der Fall «Jannick Sinner» auch auf den professionellen Touren der ATP (Männer) und WTA (Frauen) ein viel diskutiertes Thema. Dabei fielen und fallen die Reaktionen seiner Tourkolleg:innen gespalten aus. Während einige an die Unschuld des 23-Jährigen glauben und ihn auch öffentlich stützen, gibt es andere, welche eine härtere Bestrafung Sinners im Sinne der Fairness begrüssen würden. Oft werden dabei der Entscheidungsprozess und die Rolle der WADA in Frage gestellt. Zu jenem Lager gehörte zuletzt etwas überraschend auch Stan Wawrinka, der sich mit Sinner die Managementagentur des Briten Lawrence Frankopan teilt und übers Wochenende twitterte, dass er den Glauben an fairen Sport verloren habe. Ins gleiche Horn blies auch der Australier Nick Kyrgios, der seit Anbeginn der Saga um Sinner zu den heftigsten Kritikern des Italieners gehört. Gleichzeitig sprachen Sinner u.a. der ehemalige Tennisprofi und heutige Turnierdirektor Feliciano Lopez, Matteo Berettini (ATP 35) und Casper Ruud Sinner (ATP 5) ihre Unterstützung aus. Ruhe dürfte auf den beiden Touren im Hintergrund deshalb trotzdem noch eine Weile nicht eintreten.
Das Fazit
Denn eines ist klar. Die Art und Weise der Handhabung des gesamten Prozesses, inkl. dem finalen Schuldspruch, stösst bei vielen Profis auf Kritik. Am besten umschrieb die Gefühlslage wohl Daniil Medvedev (ATP 6), der am Wochenende in Marseille mit einer Prise Ironie meinte: «Ich hoffe, dass von nun an jeder mit der WADA sprechen kann. Wenn sie dir sagen: 'Wir haben das gefunden, es sind 2 Jahre Sperre', antwortet man: 'Nein, ich will einen Monat (lacht). Ich hoffe, das ist ein Präzedenzfall. Sonst wäre es ja seltsam.» Dem wäre in der Tat so und entsprechend verständlich ist das Misstrauen vieler Profis, die die mangelnde Transparenz während des gesamten Prozesses in Frage stellen. Die Professional Tennis Players Association (PTPA), eine Vereinigung männlicher und weiblicher Tennisprofis, fasst ihn ihrem Statement vom Montag zusammen: «Ganz gleich, auf welcher Seite man steht, einige Dinge sind jetzt klar. Das 'System' ist kein System. Es ist ein Verein. Der angebliche Ermessensspielraum von Fall zu Fall ist in Wirklichkeit nur ein Deckmantel für massgeschneiderte Deals, unfaire Behandlung und uneinheitliche Urteile.» Eine beissende Ohrfeige für World-Anti-Doping-Agency und natürlich auch eine Kritik an den führenden Organisationen im Tennis (ATP, WTA, ITF), die hier genauso zu den Verlierern gehören wie der gesamte Tennissport und dessen Integrität. Und natürlich ist auch Jannik Sinner in dieser Angelegenheit für einmal kein Gewinner. Über seinem Urteil hängt der Schwefelgeruchs eines von allen Parteien kalkulierten Kompromisses, der am Ende in erster Linie verschiedenen Interessen, nicht aber unbedingt der Frage nach Schuld oder Unschuld dient. Daran wird auch die bereits begonnene dreimonatige Sperre wenig ändern können.