Ist Bayerns Traum bereits geplatzt? Zwei Meinungen!
Der Champions League-Final am 31. Mai in der Allianz Arena ist das grosse Saisonziel des FC Bayern. Doch nach dem 1:2 im Hinspiel gegen Inter Mailand droht bereits im Viertelfinal das Aus. Scheitern die Bayern auch beim zweiten Versuch, den Henkelpott vor den eigenen Fans zu erringen? Unsere Redaktoren Patrick Y. Fischer und Andy Maschek sind sich nicht einig.
Patrick Y. Fischer sagt: Ja
Immerhin das scheint dem FC Bayern München in diesem Jahr erspart zu bleiben. Denn anders als 2012, als die Münchner dem FC Chelsea im CL-Endspiel vor eigenen Fans auf bitterste Art und Weise im Elfmeterschiessen unterlagen, droht ihr Traum vom grossen Triumph zuhause dieses Mal vorzeitig im Viertelfinale zu enden. Das 1:2 aus dem Hinspiel gegen Inter ist für diese Bayern eine zu grosse Hypothek.
Nicht dass in dieser Aussage eine Portion Häme mitschwingen würde, den die haben die Münchner nicht verdient. Schliesslich hat man beim deutschen Rekordmeister auch in diesem Jahr wieder alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das höchstmögliche sportliche Ziel zu erreichen. Doch ganz egal wie wettbewerbsfähig die eigene Mannschaft auf dem Papier erscheint, gegen derart viele Ausfälle von Schlüsselspielern, wie sie die Bayern derzeit erleben, ist auf höchstem Niveau kaum ein Kraut gewachsen.
Natürlich können die Bayern mit Recht darauf verweisen, sämtliche vier vorangegangenen Europacup-Spiele in Mailand ohne Gegentor für sich entschieden zu haben. Nur waren damals Schlüsselspieler vom Kaliber eines Neuer, eines Davies und eines Musiala mit Sicherheit nicht alle gleichzeitig verletzt und/oder Inter Mailand nicht mit der aktuellen Ausgabe der Nerazzurri vergleichbar, die auch ohne Münchner Lazarett zu den Favoriten auf den CL-Titel gehören würde.
Womit wir beim für mich entscheidenden Punkt wären: Das Inter Mailand von Yann Sommer, der Verteidigungslinie um Bastoni, Acerbi und Pavard, mit Mittelfeld-Motor Nicolo Barella und rund um Starstürmer Lautaro Martinez ist zu gefestigt und spielstark, um den Vorteil des Hinspiel-Sieges in München vor heimischer Kulisse noch aus der Hand zu geben. Erst Recht mit Trainer-Fuchs Simone Inzaghi an der Seitenlinie, dessen taktische Kniffe den Münchner Offensivbemühungen schon am Dienstag über weite Strecken des Spiels den Zahn zogen. Kommt hinzu, dass «Internazionale» jederzeit selbst für ein Tor gut sein wird. Auch deshalb wird der FC Bayern den Traum vom CL-Triumph im eigenen Stadion vorerst auf unbestimmte Zeit verschieben müssen.
Andy Maschek sagt: Nein
In Nordamerika wird oftmals das Sprichwort «It ain’t over till the Fat Lady Sings» bemüht. Ursprünglich wurde damit darauf hingewiesen, dass die Oper erst vorbei ist, wenn die dicke Dame singt. Der amerikanische Reporter Dan Cook ist für diese Phrase im Sport verantwortlich. Er benutzte die «fette Dame» 1976 in den NBA-Playoffs zwischen San Antonio und Washington um zu zeigen, dass die Serie nach dem ersten Sieg von San Antonio noch nicht entschieden ist.
Diese «Weisheit» kann aber nicht nur für Playoffs im Basketball oder Eishockey angewendet werden, sondern auch für Duelle im Fussball. Und es trifft auch auf den Champions League-Viertelfinal zwischen Bayern München und Inter Mailand zu. Nach der Heimniederlage im Hinspiel scheint der deutsche Rekordmeister bereits geschlagen, der Traum vom «Finale dahoam» geplatzt zu sein.
Aber Achtung, so weit ist es noch lange nicht! Die Bayern kämpfen zwar mit personellen Problemen und der Unruhe aufgrund der «Causa Müller». Doch trotz allem ist es zu früh, sie abzuschreiben. Oder wie Torschütze Thomas Müller sagt: «Wir haben jetzt Halbzeit, das Hinspiel gespielt. Aber wir wissen, dass da auf jeden Fall noch einiges drin ist.»
Ein Sieg mit einem Tor Differenz reicht, um eine Verlängerung zu erwingen. Und dass die Bayern zu Chancen kommen können, haben sie im Hinspiel bereits gezeigt, als sie vor Yann Sommer aber zu wenig kaltblütig und effizient waren. Fehler und Unaufmerksamkeiten in der Defensive dürfen sie sich in Mailand ebenso wenig erlauben wie ein erneutes Sündigen im Abschluss. Auch Coach Vincent Kompany wird aus seinen Fehlern gelernt haben, Raphaël Guerreiro im Rückspiel nicht mehr Thomas Müller vorziehen und Sacha Boey, in München bislang überfordert und kein Spieler mit dem nötigen Format, nur im äussersten Notfall Auslauf geben.
Und da ist die Tatsache, dass für die Bayern das «Finale dahoam» lockt. Alle alles dafür tun werden, diesen Traum weiterleben zu dürfen. An Motivation wird es ihnen sicher nicht fehlen, zumal sie auch von Inter zusätzlich heiss gemacht wurden. «Sie haben am Ende gefeiert, als hätten sie den Titel gewonnen», sagte der genervte Bayern-Stürmer Harry Kane nach der Niederlage und dem grossen Inter-Jubel nach dem Schlusspfiff und schickte ein paar Worte in Richtung der Mailänder, die durchaus als Drohung aufgefasst werden können: «Ich denke, das heutige Spiel hat gezeigt, dass wir gegen jeden Gegner gefährlich sind. Es geht noch um alles. Es ist ein Tor, es sind noch 90 Minuten zu spielen und wir haben genug gefährliche Spieler, um das Ruder herumzureissen.»
Gereizte Bayern können auch zu starken Bayern werden, deshalb ist Inter gut beraten, beim Rückspiel am kommenden Mittwoch die «Fat Lady» im Hinterkopf zu haben.