Gold per Post, Anzüge per Los?
Die skrupellose Betrugsmasche von Norwegens Skisprung-Team schockierte bei der WM in Trondheim. Seit den Sperren wurde es ruhiger. Es wartet ein langer Sommer der Aufarbeitung.
Seit drei Wochen hat der Skisprung-Sport mit dem Anzug-Skandal und einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem zu kämpfen. Nach acht Sperren gegen die Norweger um Weltmeister Marius Lindvik steht ein heisser Sommer bevor. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den manipulierten Anzügen - und was nach der Saison folgt.
Mehrere frühere Athleten äusserten sich zu Dingen während ihrer aktiven Zeit und gestanden bewusste Überschreitungen des Regelwerks ein. Dazu zählten Norwegens Olympiasieger Daniel-André Tande, sein Landsmann Anders Jacobsen und die finnische Legende Janne Ahonen. "Absolut jeder macht es", sagte Tande zur Manipulation der Ausrüstung. "Ja, ich würde wagen zu sagen, dass ich das einige Male getan habe."
Ahonen sagte: "Ich habe nie etwas an meinem Anzug getragen, was nicht erlaubt war. Aber wenn es um die Grösse geht, habe ich die Vorschriften gedehnt und die Grenze überschritten." Der heute 47 Jahre alte Finne gab zu, "natürlich" Kenntnis von den Regelüberschreitungen gehabt zu haben. Tande mutmasste gar, die FIS wolle Sieger aus den jeweiligen Gastgeberländern sehen, und würde deshalb Verstösse von Topathleten bewusst tolerieren.
Dies WM-Ergebnisse zweifeln die FIS und Rennleiter Sandro Pertile nun offiziell an. So könnte Andreas Wellinger nachträglich per Post die Goldmedaille zugestellt bekommen, falls Lindvik für das Springen von der kleinen Schanze disqualifiziert wird. Bei der WM in Norwegen hatte der Verband derartige Konsequenzen noch ausgeschlossen.
"Wir wussten an dem Samstagabend nicht, was passiert ist. Man muss die ganze Situation verstehen und begreifen, wann diese Manipulation angefangen hat. Die Entscheide werden dann sehr konsequent sein", sagte Pertile der Deutschen Presse-Agentur. Wellinger bekäme Gold statt Silber, Karl Geiger würde von Rang 4 auf den Bronze-Platz rücken.
Pertile verweist auf eine Zusammenkunft der Teams im Frühjahr in Prag. Unabhängig von der parallel laufenden Aufarbeitung soll künftig ein strengeres und transparenteres Regelwerk rund um die Weltcup-Schanzen gelten. Pertile möchte weitermachen und das Chaos als Führungskraft selber aufarbeiten, sagt aber auch: "Wenn mein Präsident sagt, 'Sandro, deine Zeit ist vorbei', werde ich das akzeptieren."
Für den Rest der am Sonntag zu Ende gegangenen Saison führte die FIS nach der WM als Übergangslösung ein, dass Athleten nur noch einen Anzug tragen und diesen immer wieder beim Weltverband abgeben. Mit einer solchen Regelung hätten auch die illegalen Tricks der Norweger bei der WM verhindert werden können.
Zunächst für die Dauer der Untersuchungen, die die FIS an eine externe Kommission delegiert hat. Bis zum Sommer-Grand-Prix soll die Aufarbeitung abgeschlossen sein. "Erst brauchen wir Fakten auf dem Tisch", sagte Pertile.
Für Aufsehen sorgte der Vorschlag von Mika Kojonkoski, der als ehemaliger Nationaltrainer und Chef des FIS-Skisprungkomitees einheitliche Anzüge anregte. Der Weltverband würde in diesem Fall die Anzüge verwahren und per Losentscheid an die jeweiligen Athleten ausgeben. In Springerkreisen gibt es nicht zuletzt angesichts unterschiedlicher Körpergrössen Zweifel an der Umsetzbarkeit.
Ähnlich wichtig wird für die FIS sein, die Sanktionen bei Regelverstössen anzupassen. Bisher gibt es in solchen Fällen Disqualifikationen für den jeweiligen Wettkampf. Künftig könnten auch zeitlich begrenzte Sperren hinzukommen, wie Kojonkoski vorschlug.
Karl Geiger zog Parallelen zum Strassenverkehr. "Wenn man auf der Landstrasse 110 statt 100 fährt, sagt keiner was. Wenn man 120 fährt, muss man damit rechnen, dass man geblitzt werden kann. Fährt man 140, wird es teurer. Fährt man 160, ist der 'Lappen futsch'. Fährt man 160 ohne Führerschein und mit Alkohol, dann ist die Strafe entsprechend höher", sagte Geiger in der ARD. Es müsse dabei grundsätzlich zwischen Regelverstössen und bewussten Manipulationen unterschieden werden.