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«Für die Schweizer muss sehr, sehr viel zusammenpassen»

Andy

Am 11. Oktober 1998 gewann der Schwyzer Oscar «Ösi» Camenzind im holländischen Valkenburg als letzter Schweizer Radprofi auf der Strasse WM-Gold. Im Interview blickt der 53-Jährige auf den Höhepunkt seiner Karriere zurück, spricht aber auch über das Rennen vom Sonntag, die Favoriten und die Chancen der Schweizer.

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Der 11. Oktober 1998: Ösi Camenzind lässt sich als Weltmeister feiern, Zweiter wurde Peter van Petegem, Dritter Michele Bartoli. © IMAGO / Isosport

1998 wurden Sie als letzter Schweizer Strassen-Weltmeister. Das ist eine Ewigkeit her…

Das sehe ich auch so, ja, 26 Jahre sind tatsächlich eine lange Zeit. Wobei die Durststrecke vor meinem WM-Titel ja noch länger gedauert hatte, der letzte Schweizer Weltmeister vor mir war Ferdy Kübler im Jahr 1951. Es wäre sicher an der Zeit, dass nun wieder ein Schweizer Gold holt und ich einen Nachfolger habe, doch das sagen wir jedes Jahr. Und einfach ist es nicht, das ist klar.

Werden Sie noch oft auf diesen Erfolg angesprochen?

Es war das Highlight in meiner Karriere und in letzter Zeit, jetzt vor der WM in Zürich, war das vermehrt ein Thema. Aber es ist die Generation mit Menschen von vielleicht 40 oder 45 Jahren an aufwärts, denen das noch präsent ist, die Jüngeren wissen das nicht mehr. Es sind wie gesagt 26 Jahre vergangen.

Denken Sie noch oft an dieses Rennen im holländischen Sauwetter zurück?

Das passiert immer wieder. Das Amstel Gold Race beispielsweise findet jeweils teilweise auf dieser Strecke statt, in diesem Jahr war das Ziel mehr oder weniger am selben Ort. Oder auch bei Schlechtwetterrennen, denn damals hat es mehr oder weniger den ganzen Tag stark geregnet.

Das Wetter war Ihr Trumpf…

Ja, an jenem Morgen waren viele Fahrer schon mental geschlagen, als sie die Bedingungen sahen. Ich hatte den Ruf, ein Schlechtwetterfahrer zu sein und bin bei solchen Bedingungen meistens auch gut gefahren. Wenn man dann zum Fenster rausschaut und wegen des Regens den Verleider hat, wird der Tag noch viel härter, als er sonst schon ist. Dann ist man nicht bereit.

Seither gab es für die Schweiz auf der Strasse nur noch drei Medaillen: 1999 Silber für Markus Zberg und 2019 respektive 2020 Bronze für Stefan Küng und Marc Hirschi. Ist es also so unheimlich schwierig, überhaupt eine Medaille zu gewinnen?

Das ist definitiv so. Vor allem auch in der momentanen Generation, in der eine Gruppe von fünf, sechs Fahrern wie Remco Evenepoel, Mathieu van der Poel oder Tadej Pogacar eine Spur besser ist als der Rest. Das macht es zusätzlich schwierig, aber ausgeschlossen ist es nicht. Für die Schweizer muss aber sehr, sehr viel zusammenpassen.

Das heisst?

Stefan Küng muss es früh probieren, weil er in einem Sprint zu wenig schnell ist. Bei Regenwetter hätte ich seine Chancen höher eingeschätzt, doch aktuell sieht es nach einem trockenen Tag aus. Mauro Schmid muss es weit vor dem Ziel probieren. Die Schweizer müssen generell offensiv fahren, gerade Küng und Schmid. Bei Marc Hirschi ist das anders, er kann etwas pokern. Er ist clever, macht nicht viele Fehler und war in den letzten Jahren renntaktisch der beste Schweizer.

Diese drei Fahrer sind die grössten Schweizer Trümpfe. Was trauen Sie Lokalmatador Fabian Lienhard zu, der nachgerückt ist?

Er ist sicher motiviert, hat in meinen Augen aber keine grosse Medaillenchance. Er wird eine Helferrolle bekleiden oder vielleicht in einer Fluchtgruppe Unterschlupf finden. Es ist sowieso das Wunschdenken, dass die Schweizer nie in die Defensive geraten. Mit sechs Fahrern eine solche Situation zu korrigieren, ist äusserst schwierig.

Mit 273,9 Kilometern ist es ein langes Rennen…

Ja, sehr, und dazu kommen noch fast 4500 Höhenmeter. Irgendwann geht es in die Beine. Zu meiner Zeit hat man gesagt, dass bei 220 Kilometern eine Barriere besteht, so wie man bei Marathonläufern den kritischen Punkt bei 32 Kilometern sieht. Es gibt viele Rennfahrer, die über 200 bis 220 Kilometer gut sind und danach Probleme haben. Bei 270 Kilometern trennt sich dann aber schon die Spreu vom Weizen, deshalb sehe ich auch Fabian Lienhard nicht als Medaillenkandidat, sondern dass er sich renntaktisch zu Verfügung stellen muss.

Ösi
Ösi Camenzind ist noch heute nah am Radsport dabei, war jahrelang auch an der Tour de Suisse als VIP-Gästefahrer im Einsatz. Foto: Facebook

Die internationale Konkurrenz ist gross. Wer sind Ihre Topfavoriten?

International wird Tadej Pogacar am meisten genannt. Handkehrum haben Weltmeisterschaften ihre eigenen Gesetze – und das ist auch die Chance der Schweizer. Bei meinem WM-Titel war Michele Bartoli der Top-Favorit, ich wurde vielleicht zum erweiterten Kreis gezählt. Von mir sprach im Vorfeld eigentlich niemand, einzig die Schweizer haben sich auf mich fokussiert. Auch so gesehen sage ich: Wenn bei Marc Hirschi alles passt, ist viel möglich. Und auch Mauro Schmid ist zuletzt sehr gut gefahren, zudem kann er wie Hirschi in einer Gruppe gut sprinten. Es muss jedoch wirklich alles stimmen, dass es nur schon zu einer Medaille reicht.

Sind Sie selber vor Ort dabei?

Am Sonntag bin ich dabei, ja. Ich habe eine Einladung von einem Deutschen erhalten, der beim Aufstieg an der Zürichbergstrasse einen Platz gemietet hat und einen Anlass unter anderem mit einer Leinwand organisiert.

Reisen Sie mit dem Velo an?

Nein, mit dem Zug, das ist besser und einfacher so. Aber ich verfolge die Rennen immer noch, schaue auch jedes Jahr die WM und bin für den Sonntag sehr gespannt. 

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