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"Eine Woche vor Sölden herrschte Alarmstufe Rot"

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Thomas Tumler stösst mit seinem Triumph im Riesenslalom in Beaver Creek in eine neue, nicht mehr für möglich gehaltene Dimension vor. Der erste Weltcup-Sieg ist für den Bündner vorab Entschädigung.

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Thomas Tumler schafft es im Alter von 35 Jahren doch noch nach ganz oben © KEYSTONE/AP/John Locher

Thomas Tumler steht mit feuchten Augen im Zielraum der Piste Birds of Prey, auf der er sechs Jahre zuvor mit Rang 3 im Riesenslalom schon einmal verblüfft hat. Er hat Mühe, seine Gefühlswelt kurz nach seinem grandiosen Erfolg zu ordnen. Seine Genugtuung ist ihm gleichwohl anzusehen. Der Stolz, den endgültigen Durchbruch im Alter von 35 Jahren doch noch geschafft und vielen Unzulänglichkeiten getrotzt zu haben, ebenso.

Thomas Tumler, müssen Sie sich ab und zu kneifen, um zu begreifen, was da mit Ihnen gerade abgeht? Beim Weltcup-Finale im vergangenen März in Saalbach im Riesenslalom Rang drei, jetzt der Sieg in Beaver Creek.

"Es tut einfach gut, es doch noch geschafft zu haben. Ich war oft weit weg von den Besten. Oft sah es so aus, dass es für mich nie mehr möglich wäre. Dass es jetzt so aufgegangen ist, ist einfach traumhaft."

Vor ein paar Tagen haben Sie gesagt, dass im Vergleich zu Ihrer Leistung in Saalbach noch eine Steigerung drin liegt. Sie haben es am Sonntag bei erster Gelegenheit bewiesen.

"Meine erste Fahrt war sensationell. Ich wäre allerdings lieber der Jäger als der Gejagte gewesen. Jetzt aber bin ich mega stolz, dass es mir gelungen ist, die für mich unbekannte Situation so zu meistern. Erstmals nach einem ersten Lauf als Leader am Start zu stehen und dann zu gewinnen - das ist ein grandioses Gefühl."

Dabei haben Sie nach dem ersten Durchgang gesagt, dass sich Ihre Fahrt nicht schnell angefühlt habe.

"Wenn ich ein gutes Gefühl beim Skifahren habe, bin ich meist nicht schnell. Während der Fahrt habe ich immer gedacht, etwas mehr riskieren zu müssen. Als ich im Ziel den Vorsprung auf die zwei vor mir gestarteten Fahrer gesehen habe, habe ich gemutmasst, dass es ihnen wohl nicht optimal gelaufen sein muss."

Wie wars zwischen den zwei Läufen?

"Ich habe mich gut ablenken können, habe aber auch nicht gross etwas anderes gemacht, als wenn ich Zehnter gewesen wäre. Es ist mir eigentlich besser gegangen, als ich mir das vorgestellt habe."

Und dann das Gefühl, als Letzter oben zu stehen?

"Das war sehr speziell. Die Startintervalle waren so extrem lang, da hat man schon Zeit zum Nachdenken. Trotzdem habe ich mich gut fokussieren können."

Es war ein Sieg mit Ansage.

(Lacht) "Als der aktuelle Weltcup-Kalender veröffentlicht war, sagte ich zu meiner Frau 'schön, ist der Riesenslalom in Beaver Creek wieder im Programm. Den gewinne ich'. Als ich dann auf dem Leaderthron sass, schossen mir diese Sätze wieder durch den Kopf."

Ich behaupte, die meisten Fahrer hätten in Ihrer früheren Situation aufgegeben. Was hat Sie im Spitzensport gehalten? Waren Sie überzeugt, dass es eines Tages doch noch für Spitzenplätze reicht?

"Ich habe im Training immer das Gefühl gehabt, dass viel möglich ist. In den Rennen hatte ich dann aber oft nicht die Ausgangslage, aus der eine Klassierung in den ersten zehn möglich gewesen wäre. Es war oft ein Abwägen. Zum einen wollte ich primär Weltcup-Punkte holen, zum andern wollte ich mehr. Dieses Denken hat mich oft gehindert und gehemmt."

Hat es den Moment gegeben, in denen der Schalter gekippt ist?

"Vor zwei Jahren belegte ich in den zwei Riesenslaloms in Alta Badia jeweils Platz einunddreissig. Mit etwas mehr Glück hätte ich wichtige Punkte holen können, um meine Position in der Startliste zu verbessern. Das waren Momente, in denen ich gehadert habe. Dann kamen der Riesenslalom in Adelboden, wo mir zum ersten Mal ein zählbares Ergebnis gelang, und jener in Schladming, bei dem ich mich für die Weltmeisterschaften qualifizierte. Sich in einem so starken Team wie dem unserem einen Startplatz zu sichern, hat mir mächtig Aufschwung verliehen."

Das Vertrauen der Trainer war immer da?

"Vor drei Jahren erfüllte ich null Kriterien für eine Kaderzugehörigkeit bei Swiss-Ski. Sie haben aber an mich geglaubt. Ich bin ihnen dankbar, die Chance nochmals bekommen zu haben. Sie hätten mich auch in den Regionalverband zurückschicken können, was gleichbedeutend mit dem Ende meiner Karriere gewesen wäre."

Vor viereinhalb Jahren haben Sie den Ausrüster gewechselt. Was hat der Wechsel von Fischer und Stöckli ausgelöst?

"Schade war, dass ich die erste Saison mit Stöckli wegen eines Bandscheibenvorfalls verpasst hatte. Aber ich spürte von Beginn weg das Vertrauen. Marco Odermatt unterstützte mich von Anfang an. Das löste bei mir zusätzliche Motivation aus."

Wie äussert sich die Wende zum Guten in den einzelnen Rennen?

"Früher wollte ich oft zuviel. Da war oft eine gute Zwischenzeit, auf die aber ein Ausfall oder ein grober Fehler folgte. Mittlerweile weiss ich, dass es reicht, was ich kann, um vorne dabei zu sein, dass es dafür keine besonderen Dinge braucht. Ich habe jetzt mehr Ruhe in mir, kann besser mit Stress und Druck umgehen."

Wie steht es um Ihren Rücken, Ihre körperliche Problemzone?

"Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich wieder Probleme hatte, nämlich in der Woche vor dem Riesenslalom in Sölden. Ich dachte, meine Karriere wäre endgültig vorbei. Es herrschte Alarmstufe Rot. Ich hatte einen Hexenschuss eingefangen, aber es fühlte sich ähnlich an wie beim Bandscheibenvorfall. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und kaum aus dem Auto steigen. Es war, als würde die Welt für mich zusammenbrechen. Glücklicherweise merkte ich aber bald, dass die Probleme lediglich muskulärer Natur waren. Zwei Tage später war alles wieder in Ordnung."

Der Rücken braucht Sonderbehandlung?

"Ich habe mir ein sehr gutes Umfeld aufgebaut. Die ganze Arbeit ist auf meinen Rücken abgestimmt. In der Praxis von Ramon Zürcher in Einsiedeln bin ich in besten Händen. Im Kraftraum bin ich dafür nicht mehr der, der die vielen Kilos wie früher stemmt."

Haben Sie sich betreffend Ihre Karriere einen Zeithorizont gesetzt?

"Solange ich meine Erwartungen erfüllen kann, sehe ich keinen Grund aufzuhören. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen im übernächsten Jahr habe ich auf jeden Fall im Hinterkopf."

Helfen Ihnen die früheren langen Zwangspausen womöglich, im höheren Alter in besserer körperlicher Verfassung zu sein, als wenn Sie zehn Winter am Stück durchgefahren wären?

"Mag sein, ja. Die Motivation ist mit Sicherheit grösser. Aber ich fühle mich auch körperlich sehr gut, nicht wie ein Fahrer mit fünfunddreissig Jahren. Weil ich nur noch Riesenslaloms fahre, habe ich viel weniger Stress. Wenn ich das Programm von Marco Odermatt, Justin Murisier oder Gino Caviezel sehe, denke ich ab und zu, dass ich das nicht mehr schaffen würde."

Den Super-G lassen Sie nunmehr in der dritten Saison beiseite.

"Eigentlich wollte ich mich nach der Bandscheiben-Operation auf den Super-G konzentrieren. Ich stand in dieser Disziplin besser da, als im Riesenslalom. Nach der Verletzung war die Risikobereitschaft aber nicht mehr vorhanden. Ich konnte mich nicht mehr überwinden, ich verspürte eine innerliche Handbremse. Ich fuhr zwar noch das eine oder andere Mal in die Punkte. Doch das Risiko, das ich einzugehen bereit war, reichte nicht mehr, um mit den Besten mitzuhalten."

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