Eine Analyse zum EM-Abschneiden der Schweizer Handballerinnen
Obwohl es für die Schweizer Handballerinnen an der EM in der Hauptrunde vier klare Niederlagen absetzt, zieht SHV-Präsident Pascal Jenny eine mehr als positive Bilanz.
Das Highlight aus Schweizer Sicht war der 26:22-Erfolg in Basel im abschliessenden Vorrundenspiel gegen Kroatien, dank dem bei der zweiten EM-Teilnahme der erstmalige Einzug in die in Wien stattgefundene Hauptrunde gelang. Es war im siebten Duell mit den Kroatinnen der erste Sieg.
"Wir haben uns endlich mal belohnt als Schweizer Handball-Community, das Nationalteam brachte auf den Punkt die Leistung", sagt Pascal Jenny, der Präsident des Schweizerischen Handball-Verbandes (SHV), im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. "In der Hauptrunde ging dann die Anspannung etwas verloren, waren wir müder, und dann reicht es gegen solche Kaliber nicht mehr zu Punkten. Es gab jedoch immer wieder Phasen, die aufzeigen, dass es nicht mehr viel braucht, um auch mit solchen Equipen auf Augenhöhe zu sein. Das stimmt uns sehr zuversichtlich. Wir verfügen mittlerweile über Spielerinnen, die auch in Topteams eine Rolle einnehmen würden."
Die gute Entwicklung ist der Lohn dafür, dass in den letzten Jahren einiges an Ressourcen - personell, inhaltlich und finanziell - in den Frauen-Handball investiert wurde. Mittlerweile ist es gleich viel Effort in allen Bereichen wie bei den Männern. Seit 2020 gibt es die Akademie im Kompetenzzentrum OYM in Cham, die sich an Spielerinnen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren richtet. Mit dem Development-Kader wurde kürzlich ein weiteres Gefäss gestartet, um noch mehr junge Athletinnen professionell fördern zu können. Dies war möglich, weil der SHV als einer von fünf nationalen Sportverbänden über drei Jahre zusätzliche finanzielle Unterstützung für den Frauen-Leistungssport durch die Stiftung "Sportförderung Schweiz/Swiss Olympic" erhält. "Diesen Schwung gilt es zu nutzen", so Jenny.
Die schon erzielten Erfolge lassen sich auf jeden Fall sehen. Das U16-Nationalteam gewann im Juli die inoffizielle EM, die U20 schaffte an der diesjährigen WM erstmals den Sprung in die Top 8. Vom aktuellen EM-Kader sind elf der 18 Spielerinnen 21 Jahre und jünger, die Hälfte ist im Ausland tätig.
"Das Investment ist bisher mehr als aufgegangen", sagt Jenny. "Mein Hauptziel als Präsident ist, den Handballsport präsenter zu machen, deshalb war es ein nötiger Schritt, die Frauen miteinzubeziehen und dadurch mehr Nachwuchs zu finden." Er fände es auch erfreulich, dass sich die beiden Nationaltrainer (Andy Schmid und Knut Ove Joa) regelmässig austauschen und so gegenseitig voneinander profitieren würden.
Doch obwohl die EM als Erfolg bezeichnet werden kann, ging nicht alles wie gewünscht auf, so kamen deutlich weniger Zuschauer in die St. Jakobshalle als erhofft. Gegen Kroatien war die Stimmung zwar grossartig, doch blieben mit 3826 Zuschauern beinahe 2000 Plätze leer. Weltmeister Frankreich, der in der zweiten Vorrundengruppe in Basel spielte, lockte zweimal weniger als 1500 Zuschauer an.
"Da sind wir nicht zufrieden", sagt Jenny. "Das zeigt mir drei Sachen: Das eine ist, dass das Commitment aus der Handball-Szene zu wenig gross war. Zweites ist es uns noch nicht gelungen, die Bevölkerung genügend für einen Matchbesuch an einer Frauen-EM zu motivieren. Drittens erhielten wir vom europäischen Verband nicht alle Unterstützung in Bezug auf gewisse Freiheiten für innovative Lösungen."
Doch das Positive überwiegt ganz klar. "Wir haben eine ausgezeichnete Perspektive", sagt Jenny. "Ich sehe abgesehen von Frankreich und Norwegen keine Nation, die dermassen viele nachrückende Talente hat wie wir, was ich von Verantwortungsträgern in anderen Ländern bestätigt erhalten habe. Und es darf nicht vergessen werden, dass es für unseren Trainer und den Staff das erste grosse Turnier war. Auch dieses Team wird enorm viel lernen aus dieser EM."
Wo sieht Jenny noch das grösste Defizit im Vergleich zu den Top-Nationen? "In der Athletik. Die meisten benötigen fünf bis zehn Kilogramm mehr Gewicht, und 80 Prozent davon muss Muskelmasse sein. In der Hauptrunde hatten wir im Gegensatz zur Vorrunde Phasen mit unüblichen technischen Fehlern. Das liegt für mich an der fehlenden Kraft und Ausdauer, was in diesem jungen Alter allerdings normal ist."
Jenny macht klar, dass das Frauen-Nationalteam spätestens 2032 an Olympischen Spielen dabei sein soll. "Mit meiner Erfahrung als ehemaliger Spieler und als Funktionär, der das ganze System mittlerweile versteht, muss ich sagen: 'Wenn wir uns mit dieser Ausgangslage nicht für die Olympischen Spiele 2032 qualifizieren, dann haben wir alle etwas falsch gemacht.' Ich finde, das ist mehr als realistisch, unter der Bedingung, dass 90 Prozent der Talente seriös weiterarbeiten. Dieses Commitment gilt es nun abzuholen."