Ein Renntagebuch und etwas Whisky
Ein Trio blickt in Engelberg zurück auf einen grandiosen Ski-Winter. Das Sportliche steht bei Marco Odermatt, Alexis Monney und Thomas Tumler selbstverständlich im Mittelpunkt, aber nicht nur.
Sie stehen und sie hängen da. Kristallene Pokale, WM-Medaillen. Sie sind Zeugen eines Winters, in dem die Schweizer Alpinen Geschichte geschrieben, in dem das Team der Männer die 40 Jahre alte Bestmarke an Podestplätzen im Weltcup überboten hat. Auf 44 Klassierungen unter den ersten drei haben es die Mannen von Cheftrainer Thomas Stauffer gebracht.
Eine grosse und drei kleine Kugeln, umrahmt von Edelmetall, errungen an den Weltmeisterschaften im Februar in Saalbach im Glemmtal, stehen da an diesem Freitag in einem Raum des Hotels Terrace in Engelberg. Die Verantwortlichen der Skifirma Stöckli haben zum Medientreffen mit ihren erfolgreichen Athleten geladen. Es ist eine Veranstaltung, an der sich selbstredend erneut vieles um Marco Odermatt dreht, an dem er aber von zwei Teamkollegen begleitet wird. Thomas Tumler und Alexis Monney sind seine Begleiter. Ein Trio statt ein Solist - das Spiegelbild einer Saison, in dem Odermatt wohl wieder im Besonderen im Fokus gestanden hat, in dem die Athleten von Swiss-Ski aber auch in Teamstärke am Laufmeter überzeugt haben.
Odermatt fiel es natürlich schwer, den besonderen Moment des abermals an Höhepunkten reichen Winters zu nennen. Zu viel Grossartiges war wiederum dabei, um sich festzulegen. Natürlich waren da der vierte Sieg in Folge im Riesenslalom in Adelboden - oder der erste Sieg auf der Streif, wenns auch nicht in der Abfahrt, sondern im Super-G war - oder das WM-Gold im Super-G.
Doch Odermatts Gedanken schweiften ab nach Val d'Isère, wo er Mitte Dezember den Riesenslalom gewann, wo der Druck ein besonderer war nach drei Ausfällen am Stück in dieser Disziplin. "Ich war mir bewusst, dass endlich wieder einmal ein paar Punkte her mussten."
Odermatt hätte beim Rückblick sein persönliches Dokument zu Hilfe nehmen können. Seine wettkampfmässigen Einsätze hält er seit einigen Wintern in einem Renntagebuch fest - und tut es damit seinem Vater gleich. Walter Odermatt führt seit dem ersten Skitag ("Das war am 8. Dezember 1999") genau Buch über seinen Filius. Der Sohnemann seinerseits notiert sich unter anderem das eingesetzte Ski-Modell, die Schneebeschaffenheit oder die Abstimmung des Materials und ergänzt seine Einträge mit eigenen Gedanken und Emotionen.
Einträge über Einsätze in drei Disziplinen werden die Tagebücher auch in den kommenden zwei Wintern füllen. So jedenfalls sieht es Odermatt vor. "Uns stehen zwei coole Saisons bevor mit den Olympischen Spielen beziehungsweise den Heim-Weltmeisterschaften in Crans-Montana. An den beiden Grossanlässen will ich versuchen, die dreifache Chance wahrzunehmen." Danach kann er sich vorstellen, wie er das schon zu Beginn des letzten Winters angetönt hat, sein Rennprogramm zu reduzieren. "Am ehesten wohl im Riesenslalom. Es ist möglich, dass ich da das eine oder andere Rennen auslassen werde."
Monney war neben Franjo von Allmen im Speed-Bereich der grosse Aufsteiger. Der Freiburger, der die Saison mit Rang 8 als Weltcup-Bestergebnis in Angriff genommen hatte, beendete den Winter unter anderem mit einem Weltcup-Sieg, je zwei zweiten und dritten Plätzen sowie mit WM-Bronze in der Abfahrt und WM-Silber in der Team-Kombination an der Seite von Slalom-Spezialist Tanguy Nef.
Trotz der steil nach oben führenden Erfolgskurve sieht sich Monney noch längst nicht als kompletter Fahrer. Er weiss, wo er nach wie vor den Hebel anzusetzen hat. Er nennt die Arbeit im Konditions-Bereich und seine Fahrtechnik ausbaufähig. Er will weiter an den Sprüngen feilen und vor allem beim Startprozedere. "Da liegt noch einiges an Zeitgewinn drin", ist der bodenständige Romand überzeugt.
Einen weiteren Schritt in seiner Entwicklung tat, trotz fortgeschrittenem Alter, auch nochmals Tumler. Mit 35 Lenzen machte er sich im Riesenslalom in Beaver Creek, Colorado, zum Weltcupsieger, in Saalbach liess er sich nach dem Riesenslalom und dem Teamwettkampf die Silbermedaille umhängen.
Grandios für einen, der mehrmals kurz vor dem Ende der Karriere, mehrfach vor einem "Rennen der letzten Chance" stand. Ein solches Rennen hatte er vor zwei Jahren mit dem Riesenslalom in Kranjska Gora vor sich. Extrem nervös sei er damals gewesen, erzählte Tumler. "Die ganze Woche davor konnte ich kaum schlafen." Die Schlafstörungen riefen seinen Vater auf den Plan. Er riet zu einer aussergewöhnlichen Massnahme. "Nimm doch einen Schluck Whisky", sei sein Ratschlag gewesen. Gesagt, getan, der Sohnemann trank vom hochprozentigen Getränk - und durfte feststellen, dass das Rennen gut verlief.
"Also behielt ich das mit dem Whisky bei, nahm am Vorabend eines Rennens einen kleinen Schluck." Nicht immer, aber hin und wieder, so vor dem Riesenslalom in Sölden, in Adelboden oder bei der WM. "Gerade da war ich jeweils besonders nervös."
Tumler und der Whisky - die Geschichte fand eine unerwartete Fortsetzung. "Zu Weihnachten schenkte mir ein Aargauer Produzent eine Flasche mit 'meinem' Whisky. Das Etikett auf der Flasche zeigt ein Bild von mir." Mittlerweile gehört die edle Spirituose zum Sortiment des familieneigenen Geschäfts in Samnaun.
Von der Qualität des braunen Safts konnten sich die Anwesenden in Engelberg gleich selber überzeugen. Tumler brachte eine Flasche mit nach Obwalden - und lud umgehend zur Degustation. Der Moment passte. Es war ein besonderer Abschluss eines besonderen Winters.