Niko Kovac legt den schlechtesten Start eines BVB-Trainers seit 41 Jahren hin. Nach 18 Jahren wurde mal wieder beim Pott-Nachbarn Bochum verloren. Eine Liste, die sich beliebig erweitern lässt und den katastrophalen Zustand der ehemaligen zweiten Kraft im deutschen Fussball zeigt. Aber für den Absturz am Borsigplatz gibt es Gründe.
Keine Hierarchie in der Mannschaft
Als im vergangenen Sommer die Ex-Kabinenhirsche Marco Reus und Mats Hummels verabschiedet wurden, war das die Chance für Borussia Dortmund, eine neue Hierarchie zu schaffen. Am Ende blieb aber alles beim Alten - nur ohne Reus und Hummels.
Der Überraschungskapitän von 2023 Emre Can blieb auch im vergangenen Sommer unter Nuri Sahin im Amt. Und das, obwohl Can ständig in der Kritik stand und unter der Last der Binde zu leiden schien.
Schon vor drei Jahren galt er zudem, genau wie Julian Brandt, intern als Verkaufskandidat. Heute sollen sie eine wichtige Achse der Mannschaft bilden und sind Kapitän und Vize.
Eine Fehlplanung mit Anlauf.
Nico Schlotterbeck wäre als Kapitän eine Möglichkeit gewesen. Die sportliche Führung hätte einen Spieler, der sich voll mit dem BVB identifiziert und bei dem meistens die Leistung stimmt, mit der Binde als Führungsspieler stärken können. Chance vertan. Brandt wurde von den Bossen und sich selbst in eine Führungsrolle geredet. Rein von seiner Ausstrahlung auf dem Platz kann er sie nicht erfüllen. Auch seine Leistung scheint unter dem Führungsspieler-Druck einzubrechen. Mit Gregor Kobel, Serhou Guirassy, Pascal Gross und Waldemar Anton wären noch vier Spieler da, die führen können und müssen. Aber Musterprofi Anton, immerhin als Kapitän von Stuttgart weggekauft, wurde von keinem Trainer wirklich gefördert und versauert auf der Bank. Kobel und Gross spielen so weit unter ihren Möglichkeiten, dass auch sie als Führungskräfte ausfallen. Guirassy fällt zwar mit Leidenschaft, aber zeitweise mit Fallsucht und Gemecker auf.
Mit Marcel Sabitzer und auch Niklas Süle wurden Spieler unter viel Tam Tam vom grossen FC Bayern nach Dortmund gelotst. Warum sie in München keine Zukunft hatten, wird immer deutlicher.
Fazit: Auf dem Platz gibt es keine natürliche Führung der Mannschaft.
Keine Souveränität in der Aussendarstellung
Der immer noch neue Sportboss Lars Ricken wirkte lange entscheidungsschwach. Auch seine öffentlichen Auftritte reissen niemanden vom Hocker. Über ihm schwebt immer noch der lange Watzke-Schatten. Mit der Entlassung von Sahin und dem Mislintat-Aus zeigte Ricken zwar, dass er handlungsfähig ist. Die Frage: "Was hat denn Aki Watzke dazu gesagt?" hält sich aber immer hartnäckig.
Auch dass der externe Berater der Geschäftsführung Matthias Sammer live im Fernsehen Mannschaft und (Ex-)Trainer Sahin nach der Niederlage in Bologna demontieren darf, ist kein Zeichen von souveräner Kommunikationsplanung. Dass Sammer dann in Lissabon nicht als Experte vor Ort ist, ist richtig - Patrick Owomoyela, einen Klub-Repräsentanten auf der BVB-Payroll, als Ersatz zuzulassen, ist mindestens unglücklich.
Nach der Derbyblamage in Bochum schaffte es dann kein Spieler, ausserhalb der rechtlich geregelten Interview-Pflichten, Journalisten und somit auch den Fans die schwache Leistung zu erklären. Mit souveräner Kommunikation hat das wenig zu tun. Zeigt aber auch ein weiteres Problem.
Spieler haben zu viel Macht
Ein Thema, das schon länger schwelt. Hinter vorgehaltener Hand wird vielen Spielern eine "Hängematte-BVB-Mentalität" bescheinigt. Sie seien "satt" heisst es. Pflichten erfüllen sie nur ungern - oder wie in Bochum gar nicht. Aber Teile des üppigen Fussballer-Gehalts können auch als Schmerzensgeld verstanden werden, um unangenehme Pflichten wie Interviews nach Niederlagen über sich ergehen zu lassen.
Auch mit öffentlicher Trainer-Kritik sparen BVB-Spieler nicht. Hummels demontierte kurz vor dem Champions-League-Finale Edin Terzic. Auch Sabitzer äusserte sich offenherzig über seine ungeliebte Rolle als offensiver Aussen. Ex-Trainer Sahin dürfte das nicht geschmeckt haben.
Insgesamt vermeidet der BVB jeden unnötigen Kontakt der Spieler zur Aussenwelt, der in Arbeit für die Profis ausarten könnte. Direkter Kontakt zu Fans? Praktisch nicht vorhanden. Die beliebten öffentlichen Trainingseinheiten? Seit August gab es in Dortmund genau drei. Echte Fan-Liebe sieht anders aus.