Transidentitären Menschen, Personen, die sich nicht oder nur teilweise mit ihrem Geburts-Geschlecht identifizieren, haben es oft schwer, ihre Lieblingssportart leicht auszuüben. Im Breiten- und Leistungssport stehen sie vor der Frage: Für welches Team melde ich mich an, in welcher Wettkampfklasse darf ich starten?
Männer und Frauen haben unterschiedliche körperliche Voraussetzungen, das ist unbestritten. Im Spitzensport hat sich eine hitzige Kontroverse entwickelt, in deren Zentrum zumeist trans* Athletinnen stehen: Dürfen sie, die in einem Männerkörper geboren wurden, gegen cis Frauen (Menschen, die sich mit dem bei der Geburt eingetragenem Geschlecht identifizieren; Anm. d. Red.) antreten? Kritiker befürchten eine Wettbewerbsverzerrung. Einzig Studien können diese Befürchtung stützen oder für ungültig erklären. Sky sprach zum Diversity Day mit einer der wenigen Wissenschaftlerinnen, die dazu forscht: Dr. Joanna Harper.
Bald keine Trennung mehr nach Geschlecht?
Ein umfangreiches Konzept für die Integration von trans* Personen im Sport gibt es in Deutschland bislang nicht. Vergangenes Jahr erklärte der Deutsche Fussball-Bund (DFB), trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen können künftig selbst entscheiden, ob sie in einem Frauen- oder einem Männerteam spielen möchten - die verkündete Neuigkeit gilt allerdings nur für den Amateurbereich.
Sportwissenschaftlerin Dr. Harper fordert eine gänzlich neue Herangehensweise im Breitensport: "Wir können sogar einen Schritt weiter gehen: Wir brauchen keine Männer-Kategorie und eine Frauen-Kategorie. Es gibt viele kreative Ansätze: Wir könnten Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten gegeneinander antreten lassen. Wir könnten darauf verzichten, in Gruppen zu trennen und stattdessen Mixed-Sport betreiben."
Sportsachen an, Wasserflasche einpacken und los zum Hockey- oder Basketballtraining - dass es für viele trans* Personen nicht so einfach ist, belegen wissenschaftliche Daten. "Eine aktuelle Studie ergab, dass Cisgender sechs Mal häufiger an Gemeinschaftssport teilnehmen als Transgender. Die Uniformen sind oftmals unbequem für trans* Menschen, sie fühlen sich unwohl in Umkleidekabinen oder beim Duschen und haben Angst, von ihren Teamkolleginnen und -kollegen nicht akzeptiert zu werden", so Dr. Harper.
Trans* Frauen werden faktisch diskriminiert
Im Profibereich existiert ebenfalls ein lückenhaftes Regelwerk. Der Welt-Schwimmverband sowie der Welt-Leichtathletikverband haben Regeln erlassen, die es trans* Frauen nur dann erlauben, in der weiblichen Klasse anzutreten, wenn sie nicht die männliche Pubertät durchlaufen haben.
Vorgaben, die aus Sicht von Dr. Harper am Realitätscheck scheitern: "In der Wirklichkeit beginnen trans* Menschen ihre medizinische Transition nicht vor dem Eintritt in die Pubertät, weil sie noch nicht bereit sind. In den meisten Ländern der Welt ist das ohnehin nicht erlaubt. Es handelt sich zwar nicht um ein striktes Verbot von trans* Frauen in der Frauenklasse, aber praktisch ist es das."
Die Regeländerung im Schwimmsport basiert auf wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass trans* Frauen auch nach einer Hormontherapie körperliche Vorteile haben. Nur vor Eintreten der Pubertät könnten diese körperlichen Vorteile durch eine Therapie abgemildert werden, argumentiert der Welt-Schwimmverband.
Das Beispiel Lia Thomas sorgte für Furore
Ein Beispiel, das noch vor der Regeländerung für Furore sorgte, ist das der trans* Frau Lia Thomas: Im Wettstreit mit Männern schnitt die US-Schwimmerin durchschnittlich ab. Im Frühjahr 2022 startete sie bei den College-Meisterschaften bei den Frauen und gewann.
Trans* Frauen haben gewisse Vorteile, aber auch Nachteile, erklärt Dr. Harper. Die US-Amerikanerin hält das Regelwerk im Schwimmsport für zu restriktiv. Als Vorreiterin bei der Forschung über trans* Sportlerinnen meint sie, die Wissenschaftsdisziplin stecke noch in den Kinderschuhen.
Testosteron hat zentrale Rolle im Diskurs
Wie erheblich Vor- und Nachteile sind, dafür fehlen aktuell noch immer signifikante wissenschaftliche Beweise: "Man kann nicht sagen, dass auf Grundlage der Forschung über trans* Frauen eindeutige Schlussfolgerungen gezogen werden können - dafür gibt es zu wenige Daten. Wir können Folgendes sagen: Jeder, der eine testosterongetriebene Pubertät durchmacht, hat erhebliche Vorteile gegenüber jedem, der es nicht tut. Das ist der Grund, warum wir Männer nicht in den Frauensport lassen. Trans* Frauen, die die männliche Pubertät durchlaufen haben, unterdrücken im Zuge ihrer medizinischen Transition ihr Testosteronlevel - sie verlieren Kraft, Geschwindigkeit, Ausdauer. Nach der Hormontherapie haben trans* Frauen den gleichen Testosteronspiegel wie cis Frauen. Es gibt keinen von Testosteron getriebenen Vorteil mehr."
Harper: "Wie fair war es, dass jemand Dirk Nowitzki blocken musste?"
Testosteron ist das wichtigste männliche Sexualhormon. In geringen Mengen kommt es auch bei der Frau vor. Es fördert unter anderem das Muskelwachstum, weshalb Testosteron eine zentrale Rolle im Diskurs einnimmt. Ein breiteres Kreuz, ein grösserer Bizeps - in erster Instanz verweisen Kritiker der Integration von trans* Frauen im Frauensport auf erkennbare körperliche Unterschiede. Fairness werde untergraben.
Als Unterstützerin sportlicher Fairness verweist Dr. Harper auf die Dehnbarkeit des Begriffs. Die ehemalige Langläuferin zeigt auf, dass es genetisch bedingte Vorteile gibt. Mit Grösse oder einer besonderen Physis gesegnete Sportler, würden auch nicht ausgeschlossen: "Man denke an einen bekannten deutschen Basketballer, der kürzlich zurückgetreten ist. Wie fair war es, dass jemand Dirk Nowitzki blocken musste? Er ist riesig und hatte unglaubliche Fähigkeiten - für seine Gegenspieler war das nicht fair. Es gibt viele solcher Beispiele. Wir lassen Vorteile im Sport zu. Was wir nicht zulassen, sind überwältigende Vorteile. Die Tatsache, dass trans* Frauen Vorteile gegenüber cis Frauen haben, bedeutet nicht, dass Wettbewerbe zwischen beiden Gruppen sinnlos sind."
Der richtige Umgang mit transidentitären Personen im Sport bleibt eine Kontroverse. Regularien aufzustellen, die eine Teilhabe im Breiten- und Leistungssport ermöglichen, ist die gesellschaftliche Verantwortung von Sportverbänden. Allen voran trans* Frauen werden oftmals ausgeschlossen. Aus Sicht von Dr. Harper ein Zustand, der nicht länger tragbar ist: "Diese Verbote sind unnötig und werden von der Forschung nicht unterstützt. Die wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Männern und Frauen im Sport ist klar, aber trans* Frauen sind keine Männer. Ich hoffe aufrichtig, dass die Verbote vor dem Internationalen Sportgerichtshof angefochten und aufgehoben werden."
Das Interview führte Lea Meinhardt