«Diese Tour ist besonders schwer»
Am Sonntag startet in Vaduz die Tour de Suisse. David Loosli, der Sportliche Direktor, spricht im Interview über die Strecke, die Favoriten, die Schweizer – und er erklärt, wie der an der Landesrundfahrt 2023 leider tödlich verunglückte Gino Mäder mit dabei ist.
Wie gross ist die Vorfreude auf die Tour de Suisse?
David Loosli: Gross! Wir haben wieder ein Jahr Vorbereitung hinter uns, hatten viel zu tun, die Zeit ist schnell vergangen. Nun sind wir glücklich, dass die Tour endlich losgeht.
Wie stufen Sie die Rundfahrt 2024 ein?
Die Tour de Suisse ist in jedem Jahr schwer – und diese Ausgabe ist in meinen Augen besonders schwer. Wir haben vier Bergankünfte plus ein Zeitfahren, das in der Höhe endet, also fünf Etappen in den Bergen. Die Tour 2024 ist zwar nicht sehr lang, es sind kurze Etappen, aber betreffend Höhenmeter extrem anspruchsvoll. Anders gesagt: kurz, knackig, happig.
Für die Sprinter gibt es nicht viele Chancen…
Für sie bestehen in den Etappen 2 und 3 Möglichkeiten, aber auch da müssen sie sich bis ins Ziel kämpfen. In der zweiten Etappe müssen sie kurz vor der Ankunft in Regensdorf den Regensberg bezwingen, da muss man zuerst drüber kommen. Und am Tag darauf auf dem Weg nach Rüschlikon steht der Albispass auf dem Programm, ein längerer Aufstieg. Deshalb kann man nicht sagen, dass diese Etappen eine klare Angelegenheit für die Sprinter sind. Denn es ist gut möglich, dass da Teams Tempo machen oder ein besserer Bergfahrer angreift.
Welche Fähigkeiten muss der Sieger 2024 mitbringen? Eine Kombination aus Berg- und Zeitfahrer?
Grundsätzlich ist das immer eine passende Kombination, doch in diesem Jahr sind die Zeitfahrqualitäten weniger entscheidend als in den vergangenen Jahren mit langen und flachen Rennen gegen die Uhr. Das erste Zeitfahren führt nur über 4,8 Kilometer, da kann man im Normalfall nicht viel Zeit verlieren. Am letzten Tag sind die ersten paar Kilometer flach, aber zwei Drittel des Zeitfahrens nach Villars-sur-Ollon führen bergauf, sodass die guten Bergfahrer sicher nicht im Nachteil sind.
Wer sind Ihre Favoriten auf den Gesamtsieg?
Wenn die Meldeliste, die sich noch täglich ein wenig ändert, stimmt, gibts schon ein paar Fahrer, die ich ganz vorne sehe. Angefangen beim Dänen Mattias Skjelmose, der die Ambition hat, seinen Titel aus dem Vorjahr zu verteidigen. Dann der Kolumbianer Egan Bernal, der Sieger von 2019, der gut in Form sein soll. Aber auch der Belgier Cian Uijtdebroeks, der einen starken Giro d’Italia zeigte und auf Rang 5 lag, ehe er krankheitsbedingt aufgeben musste.
Wo fällt die Entscheidung?
Ich hoffe, dass es bis am Schluss spannend bleibt und das Bergzeitfahren zum ultimativen Showdown wird. Aber es gibt schon zuvor mehr als genügend Gelegenheiten, um die Differenz zu schaffen. Man sieht an den Rundfahrten generell, dass das Feld oftmals nahe beieinander ist, ausser Tadej Pogacar steht am Start. Ich kann mir gut vorstellen, dass es bis zum letzten Tag spannend bleibt.
Was erwarten Sie von den Schweizern?
Viel! Mit der Nationalmannschaft sowie den beiden Schweizer Teams Tudor und Q36.5 haben wir viele Schweizer am Start, dazu kommen mit Marc Hirschi und Jan Christen zwei grosse Talente, die abliefern wollen. In den Zeitfahren werden Stefan Küng und Stefan Bissegger im Fokus stehen. Aber auch Mauro Schmid, der im Frühjahr lange verletzt war, wird sehr motiviert in diese Tour steigen. Ich denke schon, dass wir jeden Tag Schweizer Fahrer im Kampf um den Etappensieg sehen werden.
Zentral sind die Pässe: Wie sieht es mit kurzfristigen Streckenanpassungen wegen der grossen Schneemengen in den Bergen aus?
Das ist definitiv ein Thema. Wir haben gerade erst die Meldung bekommen, dass der Nufenenpass nicht passierbar ist. Das heisst, dass wir für die sechste Etappe von Locarno nach Blatten-Belalp umplanen müssen. Eine Variante wäre, wie geplant in Locarno zu starten und dann via Gotthard- und Furkapass ins Wallis zu fahren – wenn der Furka offen ist, was heute noch nicht feststeht. Bei der anderen Variante würde die Etappe erst in Ulrichen gestartet und entsprechend gekürzt.
Das heisst, dass auch der spezielle Bergpreis, der zu Ehren des im letzten Jahr verstorbenen Gino Mäder auf dem höchsten Punkt der Tour verliehen wird, einen neuen Ort braucht.
Genau, wenn der Furkapass offen ist, ist dies das Dach der Tour. Und sonst werden wir sehen. Klar ist, dass dieser Bergpreis verliehen wird.
Ist dieser «#rideforgino Bergpreis» für alle Involvierten ein weiterer Schritt bei der Verarbeitung des tragischen Unfalls von Gino Mäder?
Das ist sicher so, denn vergessen werden wir dies sicher nie mehr. Und es ist uns auch wichtig, dass die Fans und Zuschauer Gino nicht vergessen. Gleichzeitig zeigt dies alles, wie gefährlich ein Rennen ist und dass alle Beteiligten auch an der Strecke immer zu 100 Prozent bei der Sache sein müssen. Dass man bei der Sicherheit wirklich macht, was man kann. So dass dies hoffentlich ein einmaliges Erlebnis ist, das wir mitmachen mussten. Und dieser Preis ist nun eine schöne Art, Gino jedes Jahr an der Tour dabei zu haben.
Hat dieser Unfall Sie auch bei der Streckenplanung beeinflusst? Zu neuen Gedanken geführt?
Ja und nein. Wir haben den Unfall mehrfach analysiert, doch es gab keine finalen Erkenntnisse zum Unfall, es deutet alles auf einen Fahrfehler hin. Es ist also nicht alles falsch gelaufen und so muss man auch nicht alles neu erfinden. Aber klar fragt man sich, ob man kurz vor dem Ziel eine Abfahrt haben will oder nicht. Wir hätten diese Gelegenheit in diesem Jahr auch gehabt – haben aber darauf verzichtet. Generell war und ist es immer die oberste Priorität, eine möglichst sichere Strecke zu haben. Und zu verhindern, was man verhindern kann.