Die Speed-Queen gibt mit 40 Jahren und Titan im Knie ihr Comeback
Fast sechs Jahre nach ihrem Rücktritt kehrt Lindsey Vonn in St. Moritz in den Ski-Weltcup zurück. Mit 40 Jahren ist die Amerikanerin entschlossen, die Grenzen zu verschieben. Das Risiko fährt mit.
Die 82-Weltcupsiege, zwei WM-Titel in Val d’Isère (2009) und der Olympiasieg in Whistler (2010) sind schon ziemlich weit weg. Doch die Strahlkraft der einstigen Speed-Queen mit den zwei flauschigen Kunstpelz-Bommeln auf der Mütze als Markenzeichen ist geblieben. Nie hatten zweitklassige FIS-Rennen so viel Aufmerksamkeit erregt wie jene vor zwei Wochen in Copper Mountain, selten musste der US-Skiverband so viele Interview-Anfragen beantworten wie in den letzten Wochen und nun vor den Weltcuprennen in St. Moritz.
2127 Tage nach dem Rücktritt trat Vonn in Copper zum ersten Mal wieder zu Rennen an. Eine Woche später startete sie in Beaver Creek als Vorfahrerin, nun steht sie vor dem richtigen Comeback in den Super-G von St. Moritz am Samstag (10.30 Uhr) und Sonntag (11.00 Uhr).
Dabei wird Vonn einiges zugetraut, etwa dass sie die Bestmarke als älteste Podestfahrerin um sechs Jahre nach oben schraubt - vielleicht noch nicht bei der Rückkehr im Engadin, aber im weiteren Verlauf der Saison. Dafür spricht, dass Vonn es als Vorfahrerin in Beaver Creek in der Abfahrt handgestoppt bereits in die Top 10 geschafft hätte. Dass ihr nur ein teilweise künstliches und kein komplett künstliches Gelenk eingesetzt wurde und sie ihre chronischen Schmerzen los ist, bezeichnen Spezialisten als grossen Unterschied. "Schon kurz nach der Operation konnte ich Dinge wieder tun, die vorher wegen zu starker Schmerzen nicht mehr gingen", sagt Vonn.
Auch Vonns ehemalige Konkurrentin Tina Weirather sowie Marc Berthod zeigen sich in ihrem "Podcast am Pistenrand" beeindruckt von den Schwüngen der ehemaligen Rekord-Weltcupsiegerin. "Extrem stark" seien die Auftritte in Beaver Creek gewesen. Vonn fahre "richtig, richtig gut, sogar besser als vor dem Rücktritt 2019 und eher wieder so wie damals, als sie uns mit ihrer Dominanz in den Wahnsinn getrieben hat", meint Weirather.
Vonn selbst, die seit der letzten Operation endlich keine dauerhaften Knieschmerzen mehr verspürt, strotzt vor Tatendrang: "Beim Rücktritt konnte ich körperlich einfach nicht mehr. Das hat sich geändert, mein Körper ist wieder geflickt. Jetzt kann ich wieder, also will ich auch wieder. Es ist wundervoll, ich fühle mich stärker als in meinen Mitt- und Spätzwanzigern."
Mit Marcel Hirscher ist zum Saisonbeginn bereits eine zweite lebende Ski-Legende nach mehreren Jahren im sportlichen Ruhestand in den Weltcup zurückgekehrt. Die Tücken des Unterfangens erfuhr der 35-jährige ehemalige Slalom- und Riesenslalom-Dominator nach dem dritten Rennen und einem 23. Platz in Sölden als bestes Resultat auf die schmerzhafte Tour. Anfang Dezember zog sich Hirscher im Training einen Kreuzbandriss zu. "Vielleicht bin ich jetzt endgültig fertig mit meiner Reise", sagte er. Ob der Österreicher nach seiner ersten schweren Verletzung ein weiteres Comeback wagt, ist offen.
Bei Lindsey Vonn ist das Verletzungsrisiko noch grösser. Die Amerikanerin ist nicht nur fünf Jahre älter als Hirscher, sie ist zudem in den Speed-Disziplinen zu Hause, wo die Verletzungsgefahr ungleich grösser ist. Hinzu kommt, dass sich Vonn auf ihrer Jagd nach Hundertsteln selten zurücknimmt und ihr Körper während der ersten Karriere aufgrund zahlreicher schwerer Verletzungen bedeutend mehr in Mitleidenschaft gezogen worden ist als jener von Hirscher.
Im Gegensatz zu Hirscher, der sich die Strapazen nach der Saison 2018/19 nicht mehr antun wollte, war Vonn im gleichen Winter von ihrem Körper praktisch zum Rücktritt gezwungen worden. Mehr schlecht als recht hatte sie sich nach einer neuerlichen Verletzung, einem Riss des Aussenbandes im besonders geschundenen rechten Knie, an ihre letzte WM gekämpft. "Ich werde für immer Schmerzen haben. Meine Knie sind dauerhaft beschädigt. Ich habe keine Knorpel und keine Menisken mehr, dafür Nägel, Schrauben und Metallplatten in meinem Körper", sagte sie nach dem Gewinn von Abfahrts-Bronze im letzten Rennen.
Knapp sechs Jahre später scheint in der Welt von Lindsey Vonn wieder die Sonne. Was für die Ski-Welt ein PR-Coup ist, soll für die Amerikanerin nach der gescheiterten Verlobung mit dem früheren Eishockey-Profi P.K. Subban mehr als das werden. Mit 40 Jahren sieht sich die einstige Speed-Queen imstande, zu mehr fähig zu sein, als bloss wieder mitzufahren, wie sie betont: "Dabeisein ist nicht mein Ziel. Mein Plan ist ganz klar, wieder dahin zu kommen, wo ich schon einmal war. Ich weiss, was ich kann, wenn mein Körper mitspielt. Und dieses Titan-Teil im Knie funktioniert recht gut." Es gebe einige Weltmeisterinnen und Olympiamedaillengewinnerin über 40, bei den Alpinen habe es nur noch keine versucht.
Als Skirennfahrerin ist Vonn die erste, die es mit einem teilkünstlichen Kniegelenk versucht. "Einige sagen, ich sei verrückt", räumt sie ein. "Aber das stimmt nicht. Ich habe das wirklich gut durchdacht. Ich bin fest entschlossen und scheue mich nicht, wie früher 110 Prozent zu geben und all die Extrameilen zu machen, die für den Erfolg notwendig sind." Es werde vielleicht einige Rennen dauern, um das Vertrauen wiederzufinden, so Vonn. "Ich werde aber schneller und schneller und stärker und stärker. Das spornt mich enorm an."