«Die Leistungen der Schweizer und der Österreicher sind nicht überraschend»
Fussballerisch ist Moritz Bauer in Winterthur und bei GC grossgeworden. Im Nachwuchs spielte er für die Schweiz, als Profi dann für die österreichische Nati. An der EM fiebert der 32-Jährige mit beiden Teams mit, die aktuell die Fussballwelt begeistern.
Österreich gegen die Türkei: Wie lautet Ihr Ihr Tipp?
Moritz Bauer: Da setze ich auf die Österreicher! Sie haben bislang wirklich überzeugt. Es gefällt mir sehr gut, wie sie spielen, das Pressing ist überzeugend. Es war schon zu meiner Zeit eine sehr talentierte Mannschaft, aber unter Ralf Rangnick haben sie nochmals einen sehr grossen Schritt nach vorne gemacht, sie sind richtig gut eingespielt. Wenn man eine Gruppe mit Frankreich und Holland gewinnt, muss man sich nicht verstecken, kann mit breiter Brust in den Achtelfinal steigen. Ich würde mich über einen Erfolg der Österreicher sehr freuen.
Hätten Sie dem Team diese Leistung im Vorfeld zugetraut?
Es wäre wohl vermessen, in einer Vorrundengruppe mit diesen Gegnern den Sieg zu erwarten. Aber die Qualifikation für die Achtelfinals habe ich den Österreichern definitiv zugetraut, denn sie verfügen über die notwendige Qualität. Dass sie nach der Startniederlage gegen Frankreich so auftrumpfen, kam aber auch für mich unerwartet. Es ist eine sehr ausgeglichene Mannschaftsleistung.
Da Ihr Vater Österreicher ist, haben Sie den rot-weiss-roten Pass erhalten und zwischen 2017 und 2018 sechs Länderspiele für Österreich bestritten. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Es war mega gut! Ich kam damals unter Marcel Koller ins Team und wurde sehr gut aufgenommen. Es war eine aussergewöhnliche Situation. Da ich weder die österreichischen Nachwuchsabteilungen durchlaufen noch in der österreichischen Liga gespielt hatte, kannte ich eigentlich niemanden. Es war für mich ein kompletter Kaltstart, doch bereits nach einer Viertelstunde hatte ich das Gefühl, schon eine Ewigkeit dabei zu sein. Ich wurde enorm herzlich aufgenommen; ich denke, dies ist eine Qualität des Teams. Es sind zwar ein, zwei oder drei Top-Top-Spieler mit dabei, aber die Mannschaftsstruktur ist sehr ausgeglichen. Die Mentalität ist wie bei den Deutschen: Die Mannschaft steht im Vordergrund. Davon konnte ich enorm profitieren, leider gelang es uns aber nicht, uns für die WM zu qualifizieren. Ich habe jedes Spiel genossen, doch dann endete meine Nati-Karriere nach ein paar turbulenten Jahren bald wieder.
Zur Nati-Premiere kamen Sie als Spieler von Rubin Kazan. War es die erfolgreichste Zeit Ihrer Karriere?
Das ist schwierig zu sagen, denn als Profi hat man immer wieder tolle Erlebnisse und schöne Momente, die man herausheben kann. Aber ja, in Kazan lief es mir sehr gut, dazu kam das erste Nati-Aufgebot als spezieller Meilenstein.
Es folgte der Wechsel zu Stoke City…
Wir stiegen zwar ab, aber es war kein totales Fiasko, und ich bekam auch viele Spielminuten und sammelte wertvolle Erfahrungen. Es folgten viele Trainerwechsel und Covid, das den Fussball für ein oder zwei Jahre total veränderte.
Sie spielten in den diesen Jahren auch für Celtic Glasgow, Ufa und zuletzt Servette. Was hat gefehlt, um nochmals der «alte Moritz Bauer» zu werden?
Ich befand mich bildlich gesprochen mit meinem Boot in wilderen Gewässern, wo das Manövrieren schwieriger ist. Im Fussball gehört ein wenig dazu, im richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, und das war ich damals nicht. Ich hatte mit den Umständen zu kämpfen, es fehlten die Kontinuität und die Stabilität, und so performte ich nicht wie gewünscht.
Denken Sie mit Ihren 32 Jahren ab und zu, dass es cool wäre, mit Österreich die EM zu bestreiten?
Egal, ob man 15 oder 38 Jahre alt ist: Welcher Fussballer wäre nicht gerne an einem solchen Anlass dabei? Gleichzeitig sollte man nicht darüber nachdenken, wo man lieber sein würde, denn so verpasst man, das Beste daraus zu machen, wo man sich aktuell befindet. Im Nachhinein ist man immer schlauer und würde vielleicht etwas anders machen, aber es bringt nichts, etwas nachzutrauern.
Haben Sie noch Kontakt zur Mannschaft?
Mit dem einen oder anderen Spieler schon noch. Wir schreiben uns zwar nicht täglich, machen aber mal Sprüche via Instagram oder gratulieren zum Geburtstag. Oder wenn ich in Madrid bin, ist es möglich, dass mir David Alaba ein Ticket hinterlegt und wir nach dem Spiel gemeinsam etwas trinken. Die Stimmung ist auch nach Jahren immer noch sehr gut, die Leitungen sind offen.
Und wie sehen Sie Schweiz?
Die Leistungen der Schweizer und der Österreicher sind nicht überraschend. Die Schweiz verfügt vor allem in der Achse mit Granit Xhaka und Manuel Akanji über unfassbare Qualität, auch im internationalen Vergleich. Die Schweiz und Österreich sind sehr ausgeglichene Mannschaften, die von einer Generation in den besten Jahren geprägt werden. Mit Spielern, die um die 30 Jahre alt sind, im Ausland tragende Rollen bekleiden. Vor ein paar Jahren noch hätte man gegen Italien wohl zu grossen Respekt gehabt, das ist nun anders – und auch der Lohn für die Investition in die Nachwuchsarbeit.
Auch England ist nicht unbezwingbar…
…überhaupt nicht! Das hat man auch im Spiel der Engländer gegen die Slowakei gesehen. Ich sehe eher die Schweiz in der Favoritenrolle – und das ist ein eigentlich unfassbares Kompliment.
Ein EM-Halbfinal Schweiz gegen Österreich ist nicht utopisch.
Es wäre cool! Etwas ganz Neues, an das vor ein paar Jahren niemand gedacht hätte. Und für die Zuschauer wäre zwischen den beiden Teams, die als Kollektiv auftreten und sehr gut funktionieren, ein gutes Spiel garantiert. Beide spielen attraktiven und abgeklärten Fussball.
Und wem würden Sie die Daumen drücken?
Als Inhaber beider Pässe könnte ich guten Gewissens das Spiel geniessen und mich mit der Mannschaft freuen, die an diesem Tag die bessere Leistung zeigt.