Die Basis im Schweizer Biathlon muss dringend erweitert werden
In Lenzerheide war viel von der "Legacy" die Rede, dem Vermächtnis der ersten Biathlon-WM in der Schweiz. An der Spitze sieht es gut aus, doch die Basis ist noch zu schmal. Das soll sich nun ändern.
Etwas wehmütig blickt sich Aita Gasparin nach ihrem letzten WM-Rennen am Sonntagnachmittag um und sagt zu Keystone-SDA: "Auf dieser Wiese hier, wo wir stehen, bin ich als sechsjähriges Mädchen Langlaufrennen gelaufen." Sie sei extrem dankbar, was man seither aufgebaut habe und dass sie die Möglichkeit erhalten habe, in einer solchen Atmosphäre eine Heim-WM zu erleben. Das hätte sie, die heute 31-jährige Engadinerin, sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Biathlon hat sich im letzten Jahrzehnt einen Platz in der Schweizer Sportöffentlichkeit erkämpft, nicht zuletzt dank der überraschenden Olympia-Silbermedaille von Aitas älterer Schwester Selina Gasparin 2014 in Sotschi. Die erste WM war nun ein Höhepunkt, jedoch einer, der fast zu früh kam. Die Zeit reichte nicht, um eine ganz neue Generation von Schweizer Athletinnen und Athleten auf diesen Grossanlass hin aufzubauen. Dass die Gegenwart trotz fehlender WM-Medaille sehr gut aussieht, muss fast als Glücksfall bezeichnet werden. Damit das so bleibt, braucht es aber noch viel Arbeit.
Jürg Capol, CEO der WM und künftiger Nordisch-Direktor des nationalen Verbandes Swiss-Ski, formuliert es so: "Man hat nun eine Mannschaft, die garantiert auch in den kommenden Jahren im Weltcup vorne dabei sein wird und die auch nächstes Jahr an den Olympischen Spielen potenzielle Medaillengewinner sind." Aber damit sei es nicht getan. "Wir müssen noch einmal unten anfangen", betont Capol. "Wenn du einen Sport entwickeln willst, kommt die Pyramide von unten. Wir müssen also die Basis verbessern."
Geschaffen wird die Basis bei den Klubs und in den Schulen. "Wir müssen schauen, was machen die Klubs? Was brauchen sie?", so Capol. "Mehr Ausbilder? Mehr Material? Mehr Gewehre?" Eine Herausforderung ist, dass Biathlon in den meisten Klubs keine Tradition hat und dass Biathlon-Schiessstände oft weit entfernt sind, gerade auch von den Sportschulen.
Eine, die mit viel Engagement daran arbeitet, diese Basis zu verbreitern, ist die heutige Nachwuchs-Chefin Selina Gasparin. Mit Geldern aus dem "Legacy"-Programm dieser WM ist im Kanton Graubünden das Projekt "Biathlon for you" angestossen worden. "Wir präsentieren dabei Laser-Biathlon in Turnstunden und haben damit schon 4000 Kinder erreichen können", erklärt Gasparin. "Und die Kinder finden das lässig. Selbst solche, die nicht gerne rennen, geben Vollgas, wenn man es mit Schiessen kombiniert."
Auch die Lehrer sähen den Wert des Biathlon, bei dem man sich austobe, aber nachher gleich wieder konzentriert und fokussiert sein muss. "Das sind Qualitäten, die auch im Schulalltag sehr nützlich sind." Sie könne sich deshalb gut vorstellen, dass Biathlon auch national zu einem Highlight im Turnsport werden könne.
Die Kinder für Biathlon zu begeistern ist der eine Fokus, die zweite Herausforderung ist die Ausbildung. Der Sport gehört überhaupt erst seit wenigen Jahren zum Programm von Jugend+Sport, entsprechend ist die J+S-Leiterausbildung noch im Anfangsstadium. Auch da ist Gasparin eng involviert, Lehrmittel zu erstellen, denn "je besser die Leute ausgebildet sind, desto mehr können sie den Kindern schon von Anfang an das Richtige mitgeben."
Im Flachland, wo der Schnee immer häufiger fehlt, sei es auch durchaus eine Option, mit Schiessen und Rennen oder auf Rollski zu beginnen. "Der Kontakt mit dem Schnee ist aber schon wichtig", findet die Bündnerin. "Und wenn es nur ab und zu in den Ferien ist." Dass der Biathlon mittelfristig dem Langlauf die Talente wegschnappt, fürchten weder Capol noch Gasparin.
Bei Swiss-Ski wurden die Bereiche bewusst stärker zusammengeführt, um auch Synergien zu nutzen. Selina Gasparin formuliert das so: "Wenn einer seinen Kollegen ins Training mitnimmt, merkt der eine vielleicht, dass er mehr Begabung hat fürs Schiessen, der andere bleibt beim Langlauf. Trotzdem können sie noch längere Zeit zusammenbleiben und sich gegenseitig motivieren."
So könnten am Ende beide Sportarten profitieren. Und wer weiss: Beim Weltcup in fünf Jahren oder allfälligen Olympischen Spielen 2038 in Lenzerheide steht vielleicht eine Athletin wie Aita Gasparin da und sagt: "Auf dieser Wiese habe ich 2025 bei der WM erstmals Biathlon-Luft geschnuppert."