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Das neue Gesicht, das fast niemand auf der Rechnung hatte

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Naina Inauen schreibt Nationalcoach Pia Sundhage einfach mal an, nun ist sie im Schweizer Team. Die Geschichte einer 24-Jährigen, die in Norwegen in einer Zucht für Schlittenhunde aufgewachsen ist.

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Naina Inauen, ein neues Gesicht im Kreis des Schweizer Frauen-Nationalteams © KEYSTONE/SFV/WALTER BIERI

Als Naina Inauen erfährt, dass sie für das Nationalteam aufgeboten ist, muss sie sich zusammenreissen. Am liebsten würde sie laut jubeln, herumrennen und ihrer Freude freien Lauf lassen. Doch als die 24-Jährige die Nachricht vom SFV erreicht, sitzt sie an einem Ort, an dem Stille ein hohes Gut ist. Sie lernt für ihr Jura-Studium in der Deichman-Bibliothek, der grössten Bibliothek Norwegens.

Als ihr dann doch ein Jubelschrei entfahren sei, hätten sich schon einige Leute zu ihr umgedreht und sie verwundert angeschaut, sagt Inauen und lacht. Sie sitzt im Teamhotel des Schweizer Nationalteams in Pfäffikon, als sie die Episode erzählt. Schon seit einiger Zeit ist das Hotel Seedamm Plaza der Rückzugsort für das Nationalteam, wenn ein Zusammenzug ansteht. Inauen erlebt jedoch vor dem Auftakt der Nations League, in der die Schweizerinnen am Freitag (19 Uhr) im Zürcher Letzigrund auf Island und am Dienstag (18 Uhr) in Stavanger auf Norwegen treffen, gerade viele erste Male.

Sie zählt erstmals zum Aufgebot von Pia Sundhage und lernt ihre Teamkolleginnen gerade erst kennen. Denn anders als die meisten Schweizer Fussballerinnen, die ihre Karriere hierzulande lancieren, hat Inauen das Gros ihres Lebens in Norwegen verbracht.

Als sie neun Jahre alt ist, entscheiden sich ihre Eltern dafür, ihre Zelte in der Schweiz abzubrechen und nach Norwegen auszuwandern. Vater Emil, ein gebürtiger Appenzeller, ist leidenschaftlicher Wintersportler. Er macht Bergtouren, klettert und freeridet fürs Leben gern, und Madagaskar durchquert er mal eben auf dem Velo. Seine grösste Leidenschaft liegt aber bei Schlittenhunde-Rennen. In Grimsbu, einem kleinen Dorf ungefähr in der Mitte zwischen Trondheim und Lillehammer, gründet er zusammen mit seiner Frau Barbara das "Team Swiss", startet mit seinen Hunden bei den grössten und prestigeträchtigsten Rennen und wird zu einem der besten Schlittenhunde-Rennfahrer der Welt. In der Zucht der Inauens leben phasenweise bis zu 500 Schlittenhunde.

In diesem Umfeld wächst Naina zusammen mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester auf. "Ein Leben im Nirgendwo", nennt es Inauen. "Es gibt da wohl mehr Kühe und Hunde als Einwohner", sagt sie. "Und man lernt, was Kälte ist und was es heisst, draussen zu sein bei minus 30 Grad."

Die Kinder begleiten ihre Eltern oft bei den Trainings auf dem Schlitten, Naina findet aber bald einmal gefallen am Fussballspielen, wenn sie mit den Jungs auf dem Pausenplatz der Schule kickt. "Viel Auswahl hat man als Kind da nicht, aber ich fand Fussball schon immer cool", sagt Inauen. Und so wird aus der Bolzplatz-Kickerin bald eine Spielerin, die in Norwegens Fussball-Ligen durch Zweikampfstärke und Konstanz auffällt. Ihr Vater, ein diplomierter Fussballtrainer, ist auf dem Weg nach oben ihre wichtigste Bezugsperson.

Während der Corona-Pandemie bestreitet Inauen zehn Partien für St.Gallen-Staad, abgesehen davon schnürt die defensive Mittelfeldspielerin ihre Schuhe aber in Norwegen. Erst in Tromsö, nun seit einem Jahr für Lyn, einem Verein aus der Hauptstadt Oslo, der in der Toppserien, der höchsten Liga Norwegens, zu den Mittelfeldklubs zählt. "Vom Stellenwert des Fussballs her liegt schon ein Riesenunterschied zwischen Norwegen und der Schweiz", stellt Inauen fest. "In Norwegen gehörst du auch als Mädchen zu den coolen Kids, wenn du Fussball spielst. In der Schweiz wirst du gefragt, was du daneben noch machst."

Irgendwann in einem Training kommt Inauen vor ein paar Wochen der Gedanke, dass sie Pia Sundhage eine Nachricht schreiben und der Schweizer Nationaltrainerin mitteilen könnte, dass sie auch mal gern fürs Nationalteam spielen würde. Via die Goalietrainerin ihres Klubs kommt Inauen an den Kontakt. Als sie die Nachricht getippt und abgeschickt hat, denkt sie, dass sie von der Schwedin eh keine Antwort erhalten werde. Doch da täuscht sie sich.

Sundhage informiert sich, tauscht sich mit Inauens Klubtrainer aus und kontaktiert auch Hege Riise, Norwegens Rekordnationalspielerin, die den Fussball im Land als frühere Nationaltrainerin immer noch eng verfolgt. Sundhage bekommt das Bild einer Spielerin gezeichnet, die durch ihr Spielverständnis und ihre Robustheit in den Zweikämpfen auffällt. Es ist ein Profil, das der 65-Jährigen gefällt, zumal sie gern eine Spielerin im Team hätte, die in die Rolle von Captain Lia Wälti schlüpfen kann, sollte die Mittelfeldstrategin, die sich immer mal wieder mit Verletzungen herumschlagen musste, neuerlich ausfallen.

Es ist eine Aufgabe, die Sundhage Inauen zutraut. Und so kommt es eben zu dieser Nachricht in der Bibliothek, die in der jungen Schweizerin ganz viele Emotionen auslöst. "Es ist eine Riesenehre für mich, im Nationalteam dabei sein zu dürfen", sagt Inauen. Auch sie weiss, dass in nicht einmal fünf Monaten mit der Europameisterschaft ein grosses Highlight auf die Schweizerinnen wartet. Aber sie sagt: "Daran denke ich nicht. Ich nehme Tag für Tag und Training für Training und versuche, das Team positiv zu unterstützen."

Sollte sie in ein paar Monaten aber tatsächlich zu den 23 Spielerinnen gehören, welche die Schweiz an der Heim-EM repräsentieren dürfen, dürfte es mit der Ruhe in der Deichman-Bibliothek wieder kurzzeitig vorbei sein.

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