AO-Champion Henry Bernet: Auf legendären Spuren, aber ohne Gewähr
Am vergangenen Samstag krönte sich Henry Bernet in Melbourne zum insgesamt 6. Schweizer Sieger eines Grand-Slam-Turniers auf Juniorenstufe. Ein toller Erfolg, der trotzdem keine grosse Zukunft garantiert. Sky Sport wirft einen Blick auf die Karriereperspektiven des 18-jährigen Baslers.
Kein Freilos, aber offene Türen
Knapp 2'150. So viele Namen umfasst die aktuelle ATP-Weltrangliste im Herrentennis. Einer von ihnen – auf Rang 789 mit 29 Weltranglistenpunkten – ist Henry Bernet, der fischgebackene Australian-Open-Champion. Von den Top 100 (Thiago Monteiro mit 594 Punkten) trennen den 18-Jährigen Stand heute also noch über 560 Punkte. Ein kleine Weltreise für einen Jungprofi, der in seiner bisherigen Karriere ganze vier Profiturniere bestritten hat. Umso besser, kann der Rechtshänder auf seinem Weg nach oben mit der einen oder anderen Abkürzung rechnen – in der Form von Wild Cards, die Grand-Slam-Champions bei den Junioren sporadisch auch bei Turnieren ausserhalb der Heimat gewährt werden. Diese ermöglichen Bernet die direkte Teilnahme an Turnieren auf der ATP und der ATP Challenger Tour, für die der Swiss-Tennis-Schützling aufgrund seines Rankings noch nicht qualifiziert wäre. Ein tolles Sprungbrett für junge Talente, die ihre Zeit auf der finanziell wenig lukrativen, aber sehr kompetitiven ITF Tour so deutlich verkürzen können. Vorausgesetzt Bernet ist bereits dazu in der Lage, regelmässig Matches gegen z.T. deutlich besser rangierte Konkurrenten gewinnen zu können.
Ein kommerzieller Boost zur richtigen Zeit
Mit dem sich anbahnenden Übertritt ins Herrentennis steigen für gewöhnlich auch die finanziellen Bürden einer Profikarriere rapide an. Bereits eine Junioren-Laufbahn auf internationalem Niveau ist alles andere als billig, auf der Profitour steigen die Kosten schnell einmal in den sechsstelligen Bereich, bei zu Beginn nahezu inexistenten Preisgeldeinnahmen. Da kommt der Ausschlachtung etwaiger kommerzieller Möglichkeiten (Sponsoring) grosse Bedeutung zu. Und natürlich verfügt man da als einer der weltbesten Tennisjunioren (Nr. 2 der aktuellen ITF-Weltrangliste) über eine grundsätzlich spannende Ausgangslage – vorausgesetzt, man plant seine Karriere weitsichtig und mit dem entsprechenden Fokus. In Bernets Fall sieht das so aus, dass er die vergangenen sechs Monate abseits der Courts dazu genutzt hat, um sein Umfeld auf verschiedenen Ebenen zu professionalisieren. Zum einen hat er die kommerziellen, marketing- und kommunikationstechnischen Aspekte seiner Karriere in die Hände des erfahrenen Wawrinka- und Sinner-Managers Lawrence Frankopan (Starwing Sports) gelegt, zum anderen im wichtigen Ausrüsterbereich zwei langjährige Partnerschaften abgeschlossen. In den kommenden Jahren werden ihm mit Wilson (Rackets) und On (Bekleidung und Schuhe) zwei starke Partner zur Seite stehen und ihren Teil dazu beitragen, dass Bernets Karrierestart sowohl finanziell als auch sportlich möglichst verlaufen kann.
Die grosse Unbekannte: Wie verläuft die sportliche Entwicklung?
Heinz Günthardt, Roger Federer, Roman Valent, Stan Wawrinka und Dominic Stricker. Ein Blick auf Bernets Schweizer Vorgänger auf Grand-Slam-Niveau genügt, um festzustellen, dass ein Major-Triumph bei den Junioren noch keine Garantie für eine erfolgreiche Karriere bei den Profis ist. Klar, Federer und Wawrinka gehören zu den besten Tennisprofis aller Zeiten, doch für jeden RF, Andy Roddick (Australian Open und US Open 2000) oder Andy Murray (US Open 2004), gibt es einen Roman Valent (Wimbledon 2001), Alexandre Sidorenko (Australian Open 2006) oder Kimmer Copejans (French Open 2012), deren Karrieren auf der ATP Tour nie ins Rollen kamen. Durchforstet man die Grand-Slam-Siegerlisten bei den Junioren der letzten 25 Jahre noch etwas weiter fällt auf, dass wohl nur rund 50% dieser durchwegs talentierten Spieler den Sprung zu einem über mehrere Jahre erfolgreichen Profi (= Top 100) geschafft haben. Von der kleinen Anzahl an Spielern, denen schlussendlich die Top 10 oder ein Grand-Slam-Titel vergönnt sind, ganz zu schweigen. Und doch gibt es sie, diese Senkrechtstarter à la Carlos Alcaraz oder Jannik Sinner, die sich quasi sofort im Profitennis etablieren, scheinbar ohne jemals zurückzublicken. Auch für Henry Bernet ist ein ähnlicher Karriereverlauf grundsätzlich noch im Bereich des Möglichen. Erwarten sollte man ihn jedoch nicht.