Anouk und Zoé Vergé-Déprés Weg als Beach-Partnerinnen
Anouk und Zoé Vergé-Dépré starten in ihre erste gemeinsame Saison als Beachvolleyballerinnen. Für die Schwestern der Start in ein Abenteuer, das aber auch mit einigen Herausforderungen verbunden ist.
Im Maison am Berner Theaterplatz herrscht am Vormittag des 1. Aprils Hochbetrieb, auch wenn das Lokal seine Türen eigentlich erst am späteren Nachmittag öffnet. Anouk und Zoé Vergé-Dépré haben in zwei grossen Sesseln Platz genommen und erzählen, wie sie fortan nicht nur als Schwestern, sondern auch Partnerinnen auf dem Beachvolleyball-Feld agieren werden.
Vater und Athletiktrainer Jean-Charles beobachtet die Szenerie vom hinteren Teil des Raumes. Der 69-Jährige lehnt sich locker an einer Bartheke an und sagt: "Ich habe schon lange davon geträumt, dass meine Töchter einmal zusammenspielen." Auf dem Gesicht des gebürtigen Franzosen zeichnet sich ein Lächeln. Die Vorfreude ist spürbar, dass dieser Traum nun in Erfüllung geht.
In der Beachvolleyball-Szene wurde schnell einmal gemunkelt, dass nun doch ein guter Zeitpunkt dafür sein könnte, dass sich die Schwestern zu einem Duo zusammenschliessen. Schliesslich standen nach der letzten Saison sowohl Anouk als auch Zoé ohne Partnerin da, nachdem sich Joana Mäder für eine Pause und Esmée Böbner für den Rücktritt vom Spitzensport entschieden hatten. Und auch am Familientisch kam die Thematik immer mal wieder auf. "Wir kennen da zwei Spielerinnen, die noch keine Partnerin haben", sagten die Eltern dann etwa.
Die Töchter lassen sich jedoch von aussen nicht beeinflussen. Sie treffen sich zu mehreren Gesprächen, wägen Vor- und allfällige Nachteile ab, diskutieren, wie eine sportliche Zusammenarbeit konkret aussehen könnte und überlegen, welche konkreten Massnahmen sie treffen müssten, um ihre enge Beziehung als Schwestern zu schützen.
Als sie alles diskutiert haben, wählt Zoé ein altbekanntes Ritual, um die sportliche Partnerschaft mit ihrer Schwester zu offizialisieren. Sie legt einen Zettel in Anouks Briefkasten, auf dem sie fragt: "Willst du meine Beachpartnerin sein?" Ja, Nein, Vielleicht. Anouk setzt das Kreuz beim "Ja" und legt den Zettel mit Schokolade zurück in den Briefkasten. Das ist die offizielle Geburtsstunde von Team Zouk. Ein Name, der sich einerseits aus den beiden Namen der Schwestern zusammensetzt, aber auch ihre Wurzeln auf der Karibikinsel Guadeloupe berücksichtigt: Auf Kreolisch bedeutet "Zouk" "Freude", bezeichnet aber gleichzeitig auch einen karibischen Musikstil, der bei den Schwestern Vergé-Dépré oft durch die Boxen dröhnt.
"Ich finde, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, zusammenzuspannen", sagt Anouk. Die 33-Jährige ist sechs Jahre älter als Zoé. Entsprechend hätten sie auf dem Beachvolleyball-Feld lange nicht so viele Berührungspunkte gehabt, weil Anouk eben schon auf der World Tour unterwegs war, als noch gar nicht klar schien, ob ihre jüngere Schwester auch eine Karriere im Sand anstreben wollte, oder ob sie einfach Beachvolleyball spielt, weil sie halt aus einer Volleyball-Familie stammt.
Doch in den letzten Jahren merkte Anouk, dass auch Zoé eine Passion für diesen Sport hat, und sie sah, welche Fortschritte sie kontinuierlich machte. Nicht zuletzt auch dann, als sich die Schwestern plötzlich als Konkurrentinnen um den zweiten Startplatz an den Olympischen Spielen 2024 in Paris gegenüberstanden - und sich Zoé an der Seite von Esmée Böbner durchsetzte und schliesslich als Fünfte stark aufspielte am Fuss des Eiffelturms. Auch Zoés Bronzemedaille an der EM 2024 in den Niederlanden war ein weiterer Beleg für eine Spielerin, die sich kontinuierlich der Weltspitze angenähert hat. "Ich denke, wenn wir früher zusammengespannt hätten, hätte es uns noch an der Reife gefehlt", vermutet Anouk.
Sie erinnert sich an die EM 2018, als das Geschwister-Duo unverhofft schon einmal wettkampfmässig in den Sand stieg, weil Anouks damalige Partnerin Joana Mäder, damals noch Heidrich, kurzfristig ausfiel. Die Schwestern schieden im Achtelfinal aus. "Damals herrschte eine ganz andere Dynamik", sagt Zoé, die dort zu ihrer Feuertaufe kam auf dieser Stufe. "Damals war ich die kleine, unerfahrene Juniorin. Jetzt habe ich viel mehr in meinem Rucksack."
Die Konstellation als Schwestern und gleichzeitig Partnerinnen in ihrem Beruf erfordert aber dennoch gewisse Massnahmen. Anouk und Zoé kommunizieren in zwei separaten Chats miteinander, einmal begegnen sie sich als Schwestern, einmal als Berufskolleginnen. Dadurch soll Berufliches und Privates besser getrennt werden können. Denn ihnen ist bewusst: Wenn man auf der Tour von Turnier zu Turnier reist, verbringt man sehr viel Zeit miteinander. Deshalb sei es wichtig, sagt Anouk, dass sie beide sich bewusste Fenster schaffen, in denen sie unabhängig voneinander unterwegs sind.
In der Saisonvorbereitung habe das schon gar nicht so schlecht geklappt, wobei es doch einen Grund hat, weshalb das Duo erst am Donnerstag am Elite16-Turnier im brasilianischen Saquarema in die Saison starten wird und die Turniere in Mexiko im März ausgelassen hat: Im Training in Rio de Janeiro zog sich Anouk eine offene Zehenluxation zu, als sie beim Absprung mit der Seitenlinie einfädelte. Sechs Wochen musste die 33-Jährige pausieren und konnte sich erst langsam wieder in den Sand wagen. Phasenweise trainierte sie mit Schuhen, um doch aufs Feld gehen zu können. Doch nun sei sie wieder ungefähr bei 80 Prozent ihres Leistungsvermögens, sagt Anouk. "Ich bin gespannt, wie es sein wird, die Dinge, die wir zusammen trainieren, in einem Spiel umzusetzen."
Die Olympia-Bronzemedaillengewinnerin von Tokio muss sich nämlich im neuen Team umstellen. Spielte sie an der Seite von Mäder in der Verteidigung, wechselt sie nun wieder in den Block. Es ist die Position, mit der sie aufgewachsen ist, und doch werde sie sich umgewöhnen müssen. "Ich werde bei jedem Service nach vorne sprinten müssen. Das ist konditionell schon eine Umstellung, aber ich freue mich darauf." Mehr Eingewöhnungszeit benötigten wahrscheinlich die Position und das Passspiel auf dem Feld. Anouk agiert jetzt auf der rechten Seite, nachdem sie vorher immer auf der linken gespielt hatte.
Und das Trainerteam mit Damian Wojtasik und Denis Milanez brachte zudem ein, dass eine Anpassung beim Handsetting gewinnbringend sein könnte. Das Zuspiel führen sie nun nicht mehr von unten, sondern von oben aus. Dadurch sollen das Spiel schneller werden und sich im Angriff mehr Kombinationsmöglichkeiten eröffnen, was helfen soll, gegen grosse und athletische Spielerinnen bestehen zu können.
"Manchmal fühle ich mich zurückversetzt auf Juniorenstufe, da wir das wirklich von Grund auf lernen müssen. Aber das müssen wir aushalten", sagt Anouk. Trainer Milanez ruft dazwischen: "Patience." Geduld.
Team Zouk muss nicht gleich beim ersten Turnier alles gelingen. Das Wichtigste ist die langfristige Perspektive mit dem Fernziel Olympische Spiele in Los Angeles 2028. Es wäre ein weiterer Traum, der sich für Vater Jean-Charles erfüllt.